Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2013, Rubrik Titelthema

Ein Buch sollte einen im besten Falle umgraben

Finn-Ole Heinrich über »Warten auf die Barbaren« von J. M. Coetzee

Es sollte einem eine neue Welt aufmachen, einen mitnehmen, irritieren und Fragen in den Kopf werfen. »Warten auf die Barbaren« des südafrikanischen Autors und Nobelpreisträgers J. M. Coetzee war für mich so ein Buch. Ich habe es gelesen wie im Rausch, habe fassungslos dagesessen, mal erschüttert, mal ungläubig, mal zu Tränen gerührt, immer fasziniert von der Präzision, der Schärfe und Coetzees Fähigkeit mit einfachsten Mitteln größtmögliche Wirkung zu entfalten. Ich habe mich zwingen zu müssen, das Buch immer wieder wegzulegen, damit es nicht wie ein Film an mir vorbeirauscht, damit die Szenen und Episoden Zeit haben, sich in mir Raum zu verschaffen, damit dieses Buch mich eine Weile begleitet.
»Warten auf die Barbaren« ist ein großes Buch, es behandelt große Fragen, es ist schwer und hart und unerbittlich. Natürlich ist es kein Buch, das als »Jugendbuch« gelabelt ist, aber ich halte diese Unterscheidung ohnehin für unsinnig. Beim Fußball gibt es diese alte Binsenweisheit: »Es gibt keine jungen oder alten Spieler, es gibt nur gute und schlechte« – das gilt auch für Bücher, finde ich. Und »Warten auf die Barbaren« ist definitiv ein sehr gutes Buch für jeden, der es mag, sich irritieren zu lassen, der nachdenken möchte.

Buch: J. M. Coetzee, Warten auf die Barbaren, Henssel, Berlin 1984

Finn-Ole Heinrich lebt und arbeitet seit 2009 als freier Autor in Hamburg (und im Zug). Letzte Bücher: So und nicht anders – Die Wahrheit über Otterndorf, Hamburg 2012 | Gestern war auch schon ein Tag, Hamburg 2009 | Räuberhände, Hamburg 2007 (alle im mairisch Verlag erschienen) | www.finnoleheinrich.de