Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3+4-2011, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Feuerwehr im Nationalsozialismus – oder: Unsere Geschichte anders erleben

Die Jugendfeuerwehr Hamburg tagt auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme – ein Seminarbericht

Von Sönke Langeloh, Hanne Lohse und Patrick Wolff, Jugendfeuerwehr Hamburg

Ein ganzes Wochenende die Geschichte des Nationalsozialismus als Jugendfeuerwehr-Seminar anzubieten, klingt nach trockenem Unterricht, den viele schon aus der Schule kennen. Doch dass die Aufarbeitung der Geschichte auch anders geht, erlebten 25 Teilnehmer des Seminars »Unsere Geschichte anders erleben« der Jugendfeuerwehr Hamburg im Juni auf ihrem Zeltkamp.

Ländliche Idylle. Eine halbe Autostunde von der Hamburger Innenstadt entfernt liegen im Südosten der Stadt die Vier- und Marschlanden, Hamburgs großes Gemüseanbaugebiet. Dünn besiedelt, sehr ländlich – kaum zu glauben, dass man sich hier noch in der Metropole Hamburg befindet. Vor 70 Jahren war es in Neuengamme noch abgeschiedener von der pulsierenden Großstadt als heute. Offenbar ein idealer Standort für das Nazi-Regime, um hier eines ihrer vielen Konzentrationslager zu errichten. Das KZ Neuengamme steht für den Nazi-Terror, den wir mahnend nie vergessen dürfen.

Auf einem 60 Hektar großen Gelände eines ehemaligen Klinkerwerkes war hier von 1938 bis 1945 das größte Konzentrationslager Nordwestdeutschlands mit über 100.000 Häftlingen. Vermutlich mehr als die Hälfte der Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme haben die nationalsozialistische Verfolgung nicht überlebt.

In der Nachkriegszeit nutzte die Stadt das Gelände für den Strafvollzug und errichtete nur am Rande ein internationales Mahnmal. Erst seit 2003 wurde der Ort immer weiter zu einem zu einem Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum erweitert. Mit Seminaren und Workshops können Besucher und Schulen hier die Vergangenheit aus nächster Nähe ergründen.

Arbeitsreicher Vorlauf. Initiator und Seminarleiter Sönke Langeloh wollte für die Mitglieder der Jugendfeuerwehr Hamburg (JF) aber noch etwas anderes: Geschichte ergründen und gleichzeitig dem aktiven Hobby Feuerwehr nachgehen – ein so drückendes Thema von einer anderen Seite betrachten und dabei ebenso ein erlebnisreiches Wochenende mit JF-Kameraden aus ganz Hamburg haben.

Zu dritt machte sich ein Team – bereits eineinhalb Jahre vor dem ersten Seminar in 2008 – Gedanken, wie sie dieses »Anders erleben« präzisieren könnten. Ideen wurden entwickelt – jedoch immer begleitet von der Ungewissheit, ob das Seminar so auch durchführbar wäre: Zelte auf einer KZ-Gedenkstätte aufschlagen? Mit Booten in die Gedenkstätte fahren? Eine Funkübung auf so sensiblem Gelände? Verletzen wir damit die Gefühle der Überlebenden? Ist solcher Umgang mit der Verfolgung von Minderheiten womöglich respektlos?

So fragten die Initiatoren nach ihrer Ideensammlung bei der Gedenkstätte an und stießen mit der Idee auf offene Ohren. Damit fing die Arbeit ein Jahr vor dem Seminar erst richtig an. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mussten Genehmigungen für die Benutzung der Wasserwege und Funkkanäle eingeholt werden. Materialbeschaffung und ehrenamtliche Unterstützung der Freiwilligen Feuerwehr waren nötig und immer wieder Abstimmungen mit der Gedenkstätte über Einzelheiten der Durchführung.

Gemeinsam mit dem pädagogischen Personal der Gedenkstätte und den hauptamtlichen Bildungsreferenten/innen der Jugendfeuerwehr Hamburg sowie weiteren Ehrenamtlichen der JF Hamburg wurde ein Konzept erstellt. Die Mädchen und Jungen sollten Geschichte zum Anfassen erleben. Anders als in der Schule; anders als sie es gewöhnt sind. Neu war bei dem diesjährigen Seminar zudem das Thema »Feuerwehr im Nationalsozialismus«.

Feuerwehrtypische Anreise. Freitagabend, den 24. Juni 2011, ging es endlich los. Treffpunkt und erstes Kennenlernen der Teilnehmer/innen fanden auf dem Milchhof Reitbrook der Familie Langeloh statt. Bereitgestellte Feuerwehr-LKW wurden von den Jugendlichen mit Feldbetten, Zelten, Sitzgelegenheiten, dem gesamten Gepäck, Seminarmaterial und der Verpflegung für das Wochenende beladen. Bis oben hin voll fuhren die LKW davon.

Hinter der Straße, auf der die Fahrzeuge verschwanden, fließt die Dove-Elbe, einer der vielen Nebenarme der Elbe. Hier warteten sieben Kleinlöschboote mehrerer Freiwilliger Feuerwehren auf die Seminarteilnehmenden und nahmen sie auf. Auch die Gedenkstätte liegt in der Nähe dieses Flusses. So machten sich die Jugendlichen fröhlich auf den Weg zum Seminar und merkten schnell, dass sie bereits mittendrin waren. Erste Informationen über den Nationalsozialismus und den II. Weltkrieg stimmten die Jugendlichen auf das Thema ein.

Unterwegs erfuhren sie, dass die Häftlinge des Konzentrationslagers vor fast 70 Jahren unter unglaublich schwierigen Bedingungen einen großen Teil der Dove-Elbe und des Neuengammer Stichkanals ausheben mussten, um sie schiffbar zu machen. Die von den Häftlingen des Konzentrationslagers hergestellten Ziegelsteine sollten auf diesem Weg in den Hamburger Hafen transportiert werden.

Die gut 10 km lange Strecke zur Gedenkstätte war gespickt mit Informationen. Lachen und Späße blieben den Teilnehmern zuweilen im Halse stecken, wenn sie erfuhren, dass die Arbeit am Ausbau des Flusses und des Kanals von Gewalt und Schikanen geprägt war. In den ersten Jahren wurden die meisten Häftlinge zu Bauarbeiten an der Dove-Elbe, bei Tiefbau- und Transportaufgaben eingesetzt. Sie arbeiteten, angetrieben von prügelnden Aufsehern, von früh bis abends – gleichgültig, ob es regnete, heiß war oder die Gliedmaßen erfroren.

Zelten mit Unbehagen. Es begann bereits zu dämmern, als das Tor zur Gedenkstätte erreicht war. Empfangen wurden die Jugendlichen von mehreren Feuerwehrfahrzeugen mit Anhängern. Auf den Anhängern wurden die Kleinboote mit einer Drehleiter verladen. Von den Jugendlichen waren schnell die LKW entladen und die Zelte beim Flutlicht eines Feuerwehrfahrzeuges für das Nachtlager aufgeschlagen, eingerichtet mit gemütlichen Feldbetten. Nach dem Grillen und einer Geburtstagsfeier wurden die ersten Eindrücke über das bisher Erlebte ausgetauscht. Manch einem wurde es unheimlich bei dem Gedanken, die Nacht dort zu verbringen, wo so viele Menschen leiden und sterben mussten. Viel leiser als sonst bei Zeltlagern üblich klang der erste Abend aus.

Am nächsten Morgen versammelten sich die Jugendlichen, um sich mit den neuen Digitalfunkgeräten, die erst im letzten Jahr in Hamburg eingeführt wurden, vertraut zu machen. Die Freiwillige Feuerwehr Hamburg-Bille, eine Fernmeldewehr, unterstützte das Seminar mit Technik und Know-how. Denn nun startete eine große Funkübung auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers.

Genaue Anweisungen in Bezug auf das Verhalten der Teilnehmer auf dem Gelände waren nötig, immerhin war die Gedenkstätte auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Die anderen Besucher sollten in keinem Fall gestört werden oder den Eindruck erlangen, dass hier die Jugendfeuerwehr »just for fun« herumspiele. Funken war nur im Außenbereich erlaubt, nicht in den Ausstellungsräumen oder an sensiblen Orten, wie beim ehemaligen Krematorium und der ehemaligen Lagergärtnerei. Hier hatte man die Asche aus dem Krematorium verteilt – und ist somit heute Ruhestätte vieler Verstorbener.

Erkundung historischer Spuren. Die Initiatoren des Seminars hatten Aufgabenkataloge zusammengestellt, mit denen fünf Gruppen die Gedenkstätte erkunden sollten. Sie wurden bei der Suche nach Lösungen von der Bildungsreferentin und Ehrenamtlichen sowie von Fachkräften der Gedenkstätte unterstützt. Die Gruppen hatten mehrere Funkaufgaben zu lösen, aber insbesondere auch die ihnen zugewiesenen Fragen zur Gedenkstätte zu erkunden. Die Geschichte des Arbeitslagers und der gesamten Zeit des Nationalsozialismus sollten erkundet, verstanden und dokumentiert werden. Die Gruppen werteten ihre Themenschwerpunkte am Nachmittag aus, um sie den anderen Gruppen zu präsentieren.

Eine Gruppe stellte die verschiedenen Häftlingsgruppen dar. Ursprünglich waren die Konzentrationslager vor allem für politische Gegner eingerichtet worden. Ab 1937 wurden zunehmend andere Verfolgte eingeliefert – Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, angeblich Asoziale und Kriminelle. Die SS kennzeichnete die jeweiligen Haftgründe durch verschiedenfarbige Dreiecke an der Kleidung. Ab 1941 kam die Mehrheit der Häftlinge im KZ Neuengamme aus den besetzten Gebieten.

Auch die Arbeit der Häftlinge im Klinkerwerk, in der Waffenproduktion sowie die Aufgaben der SS-Wachmannschaften wurden von weiteren Gruppen erforscht und die Ergebnisse den anderen Gruppen vorgestellt.

Nach dem Abendessen wurden am Lagerfeuer noch viele Gespräche geführt. Einige wollten Abstand gewinnen, andere wollten in kleinen Gesprächsrunden noch genauer auf die individuell aufgefallenen Besonderheiten zurückkommen, um das Gelernte zu verarbeiten.

Feuerwehr im Nationalsozialismus. Die KZ-Gedenkstätte hatte für dieses Seminar die Rolle der Feuerwehr zur Zeit des Nationalsozialismus recherchiert. Und so erfuhren die Jugendlichen am Sonntagmorgen, dass die Feuerwehr unter der Naziherrschaft als eigenständige Organisation aufgelöst wurde. Von nun gab es die »Feuerlöschpolizei« die sogar mit Waffen ausgerüstet wurde. Auch die Uniformen bekamen eine andere Farbe und die Befugnisse der Feuerwehrleute bzw. Feuerlöschpolizisten wurden ausgeweitet. Unglaublich erschien es, dass bestimmten Bevölkerungsschichten bei einem Brand nicht zur Hilfe geeilt wurde. Jeder weiß, dass viele Brände damals bewusst durch das Regime gelegt wurden.

Viele Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Das Regime hatte kein Interesse daran, dass dort eine Feuerwehr schnell vor Ort war und »Haus und Hof« rettete. Manche Feuerwehren entledigten sich im vorauseilenden Gehorsam ihrer »nicht-arischen« Mitglieder. Sicher waren nicht alle immer einverstanden, aber Kritik daran hätte jeden selbst in Bedrängnis gebracht.

Einen ganzen Vormittag lauschten die Jugendlichen den spannenden Berichten der Referenten und man sah ihnen ihre Bestürzung über die neuen Erkenntnisse an. Zwischendurch wurde die Gruppe durch Spiele etwas aufgelockert – passend zum Thema Ausgrenzung. Fremde Personen sollten versuchen, in eine feste Gruppe hinein zu kommen. Dies sollten aber bestimmte Personen verhindern. Anschliessend wurde das Thema Ausgrenzung auf die heutige Zeit übertragen, denn Ausgrenzung gab es nicht nur damals! Vergleiche mit der eigenen Jugendfeuerwehrgruppe wurden gezogen.

Weiter ging es mit den Fragen: Was ist Rechtsextremismus? Wie rekrutieren Rechtsextreme Jugendliche? Die Gefahrenpotenziale rechtsextremer Musik und rechtsextremer Inhalte im Internet sowie Neonazi-Codes wurden untersucht.

Resümee. Alle waren sich einig, dass die Begleitung durch die Gedenkstättenmitarbeiter hervorragend war und bedankten sich für die Unterstützung. Dieser andere Weg, Geschichte zu erleben, war eindrucksvoll und effektiv. Die Jugendlichen haben die Auseinandersetzung mit diesem Thema sehr positiv beurteilt. Es machte ihnen Spaß, weil sie aktiv daran arbeiten mussten.

Mehr als 20 Personen waren an der Durchführung dieses Seminar beteiligt. Die Unterstützung der Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr und einiger Berufsfeuerwehrangehörige hat dieses Seminar erst ermöglicht. Die hervorragende fachliche und inhaltliche Vorbereitung sowie Durchführung erfolgte durch die Bildungsreferentin der JF Hamburg, Kathy Remek, und die Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Alle sind sich einig: Es wird sicher noch ein weiteres Seminar »Unsere Geschichte anders erleben« geben.