Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2005, Rubrik Titelthema

KICK and Rush in Hamburg

Oder: Irritationen im Spielverlauf bei der Einführung des neuen Gesetzes

Von Marc Buttler, Landesjugendring Hamburg

Anstoß. Nachdem der Bundesrat am 8. Juli 2005 dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, besser bekannt unter der einprägsamen Abkürzung KICK, zugestimmt hatte, begann in Hamburg die Behörde für Soziales und Familie (BSF) unverzüglich und schneller als die anderen Bundesländer Verhandlungen mit den freien Trägern über die in den §§ 8a, 72a SGB VIII n.F. in die Wege zu leiten. Der »Fall Jessica«, ein besonders tragisches, weil tödlich endendes Beispiel von Kindeswohlgefährdung hatte die Stadt nachhaltig erschüttert und bestimmte die politische Agenda.

KICK … Der Vorstand des Landesjugendringes begrüßte die Intention des Gesetzes, verwies aber auch auf Unstimmigkeiten in der Systematik des Gesetzes. Waren sich LJR und BSF im Handlungsbedarf auch für die Jugendverbände früh einig, so konnte diese in der Bewertung der konkreten Auswirkung des Gesetzes nicht erzielt werden. Für Verunsicherung bei den Jugendverbänden sorgte die Behauptung der BSF, auch ehrenamtliche »Mitarbeiter« von Jugendverbänden also Jugendleiter hätten polizeiliche Führungszeugnisse vorzulegen, bevor sie in einem Jugendverband auch nur einen »Thekendienst« übernehmen könnten. Hinweise des LJR, dass solche Maßnahmen weder geeignet seien, noch im Gesetz vorgesehen und schon gar nicht zulässig sind, konterte die Behörde kühl. Einem Träger, der nicht bereit sei, eine entsprechende »Vereinbarung« zu unterzeichnen, müsse die Anerkennung als freier Träger entzogen werden, da dann eine »ordnungsgemäße Geschäftsführung« des Trägers nicht mehr gewährleistet sei. Es bedurfte hier der Klarstellung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), dass der neue § 72a nur den Personenkreis erfasst, der schon von den Regelungen des alten § 72 SGB VIII betroffen war, mithin also nicht die Jugendleiter.

… and Rush. Für Ratlosigkeit sorgte zunächst die Formulierung des neuen § 8a, mit dem die Umsetzung des staatlichen Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung mittels Vereinbarungen auf freie Träger übertragen werden sollte. Gleiches Problem: auch hier ist es eine schlichte Selbstverständlichkeit, dass freie Träger auf Hinweisen einer vorliegenden Kindeswohlgefährdung reagieren. Der Gesetzestext wurde jedoch so interpretiert, dass die strafrechtlich relevante Garantenstellung des Jugendamtes und seiner Mitarbeiter, auf freie Träger übertragen wird. Dies mag und soll für einen Träger im Bereich der Hilfen zur Erziehung (HzE) angehen, überfordert jedoch jeden Jugendverband mit einer weitgehend ehrenamtlichen Struktur.
Jugendleiter werden durch die Jugendverbände ausgebildet und verfügen über eine Qualifikation, die im Non-Profit-Bereich ihres Gleichen sucht. Sie können jedoch nicht studierte (Sozial-) Pädagogen ersetzten, erfüllen also gar nicht die Fachkräfte-Definition des § 8a SGB VIII. Hinzu kam eine kuriose Änderung im Gesetzestext. Enthielt die Version, über die der Bundesrat entschieden hatte noch die Formulierung »Vereinbarungen mit den Trägern und Einrichtungen« und ließ damit genau die Klarstellung vermissen, dass Jugendverbände gar nicht gemeint seien, so lautete die veröffentlichte Fassung des Textes »Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten« (Bundesgesetzblatt I Nr. 57/2005 S. 2729 ff.). Die vermisste und von der Bundespolitik immer angekündigte Klarstellung war plötzlich aufgetaucht.

Abpfiff. Der LJR-Vorstand reagierte auf diese »Textänderung« unverzüglich. Er beschloss am 20.10.2005, dass er keine eigene Vereinbarung im Sinne der §§ 8a, 72a abschließen wolle und einer solchen Vereinbarung auch nicht beitreten werde und widersprach damit auch der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft (Drs. 18/2926, 3.2.1.), mit der dieser über begonnene Verhandlungen über Vereinbarungen über die erweiterten Ermächtigungsnormen des SGB VIII informierte.

Nachspiel. Diese Vorgehensweise sollte nicht so verstanden werden, dass das Thema für die Jugendverbände erledigt ist. Auch wenn der LJR sich von Anfang an gegen die »Zwangsbeglückung« mit »freiwilligen Vereinbarungen« gewehrt hat, so einig ist er sich doch mit der Behörde, dass z.B. die Ausbildung von Jugendleitern um entsprechende Inhalte erweitert werden muss und auch Jugendverbände mit Sorgfalt auf die fachliche Eignung und Qualifikation ihres Personals achten müssen – sowohl bei Hauptamtlichen wie auch bei Ehrenamtlichen. Mit einer Infoveranstaltung am 21. September, an der auch Dr. Wolfgang Hammer (BSF) und Christian Weis (DBJR) teilgenommen haben, ist hierzu der erste Schritt getan. Nach Abschluss der Vereinbarungen zwischen BSF/Jugendämtern und freien Trägern werden weitere folgen.

Jugendverbände, die Träger von »Einrichtungen und Diensten« sind, sind auch formal weiterhin vom Wortlaut des Gesetzes betroffen. Der LJR wird diesen zur Seite stehen.

Es ist zu hoffen, dass die BSF und die Jugendämter den freien Trägern ausreichend Zeit geben, um entsprechende Vereinbarungen zu schließen und nicht versuchen, diesen z.B. über Zuwendungsbescheide entsprechende Inhalte zu diktieren. Die freien Träger werden etwas Zeit benötigen, um die notwendigen Schlussfolgerungen aus dem KICK zu diskutieren. Auch wenn die »öffentliche Meinung« nach dem Fall Jessica schnelles Handeln einfordert, sollte man ihnen diese Zeit einräumen.