Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2005, Rubrik Titelthema

KICK – Jugendverbände zwischen Formalismus und Chance

Das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz und seine Auswirkungen für die Jugendverbandsarbeit

Von Christian Weis, Deutscher Bundesjugendring

Als der Bundesrat am 8. Juli 2005 dem »Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK)« ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses die Zustimmung erteilte, herrschte unter jenen, die den Entstehungsprozess von Anfang an verfolgt hatten, Überraschung und Erleichterung: Überraschung, dass die Länderkammer unerwartet ihre Zustimmung gab ohne den Versuch, Änderungen zu Gunsten der Länder durchzusetzen, und Erleichterung, dass damit nach fast zwei Jahren ein langwieriger, schwer nachvollziehbarer Gesetzgebungsprozess mit einer fachlichen Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) und unter – zumindest derzeitiger – Vermeidung finanziell motivierter Einschnitte – wie im »Gesetz zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich (KEG)« vorgesehen – beendet wurde.

Als damaliges Ziel zahlreicher Spekulationen über ein Änderungsgesetz zum KJHG trat im April 2004 der Referentenentwurf eines »Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Tagesbetreuungsausbaugesetz - TAG)« in das Licht der (Fach-)Welt. Entgegen der verkürzenden Bezeichnung »Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG« befasste sich der Gesetzesentwurf neben dem Ausbau der Kinderbetreuung durchaus noch mit anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe. So waren Ergänzungen und Änderungen zum KJHG u.a. zum besseren Schutz des Kindeswohls, zur Stärkung der fachlichen und wirtschaftlichen Steuerungskompetenz des Jugendamtes, zur Realisierung des Nachranges der Jugendhilfe und zur Verwaltungsvereinfachung und Deregulierung zu finden. In den meisten Fällen sollte dabei aktuelle Praxis umgesetzt oder bekannte Regelungslücken geschlossen werden.
Zur schnellen Umsetzung des Ausbaues der Kinderbetreuung wurde der Gesetzentwurf bald in einen durch den Bundesrat nicht zustimmungspflichtigen Teil mit dem alten Namen und einen zustimmungspflichtigen Teil - dem KICK - getrennt. Während der erste Teil zügig beschlossen wurde und am 1. Januar 2005 in Kraft treten konnte, schickte die Länderkammer auf Initiative Bayerns im Herbst 2004 das KEG in das Rennen. Im weiteren parlamentarischen Prozess wurden dann KICK und KEG zusammen behandelt – mit bekanntem Ergebnis. Wer die genauen Vorgän-
ge nachvollziehen will, kann dies unter www.bundestag.de im Sach- und Sprechregister DIP tun.

Nachdem das beschlossene KICK sich im Sommer 2005 in der Fachwelt verbreitet hatte und der Termin des Inkrafttretens – der 1. Oktober 2005 – kurz bevor stand, wich bei denen, die mit der Umsetzung in der Jugendarbeit befasst waren, die Erleichterung einer zunehmenden Verwirrung und Verunsicherung.

Die berechtigte Verwirrung kam daher, dass sich der Gesetzestext zwischen der Zustimmung des Bundesrates und der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt »redaktionell« u.a. an einer für die Jugendverbände entscheidenden Stelle verändert hatte. Hieß es in der Bundesratsfassung im neuen §8a noch »In Vereinbarungen mit den Trägern und Einrichtungen, die Leistungen nach diesem Buche erbringen ...«, so heißt es in der ausgefertigten und im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Fassung »In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen ...« – ein für die Jugendverbandsarbeit wesentlicher Unterschied.

Die Verunsicherung kam mit der Frage, was heißt das Gesetz für die Praxis der Freien Träger in der Jugendarbeit und speziell für Jugendverbände. Die beiden neuen Paragraphen 8a und 72a des KJHG mit besonderer Bedeutung für die Jugendverbände, auf die im Weiteren detaillierter eingegangen wird, finden sich am Ende des Beitrages.

§ 72a Persönliche Eignung von Fachkräften

Der §72a steht ganz bewusst als Einschub direkt hinter dem §72 (Mitarbeiter, Fortbildung), dessen erster Absatz lautet: »Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen bei den Jugendämtern und Landesjugendämtern hauptberuflich nur Personen beschäftigen, die sich für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben (Fachkräfte) ...«, denn er präzisiert diesen hinsichtlich der Aussagen »die sich ... nach ihrer Persönlichkeit eignen«.

Es geht darum, dass Träger der öffentlichen Jugendhilfe hinsichtlich der persönlichen Eignung der hauptberuflich Beschäftigten »insbesondere sicherstellen sollen, dass sie keine Personen beschäftigen oder vermitteln«, die wegen einer einschlägigen Straftat rechtskräftig verurteilt wurden. Dazu sind im Gesetz die konkreteren Paragraphen des Strafgesetzbuches (StGB) benannt.
Für den öffentlichen Träger präzisiert das KICK weiter, wie dies sicherzustellen ist, nämlich mit der Hilfe von Führungszeugnissen, die er sich bei Einstellung und in regelmäßigen Abständen vorlegen lassen muss. Auch wenn man den Erkenntnisgewinn dieser Maßnahme ebenso hinterfragen kann wie die Auswahl der betreffenden Paragraphen des StGB – Körperverletzung (§223 StGB) ist z.B. nicht dabei –, sollte man auch sehen, dass bei Einstellungen in den Öffentlichen Dienst die Vorlage der Führungszeugnisse auf Grund einer engen Grundrechtsbindung in vielen Fällen bereits Praxis ist und damit in der Realität vermutlich nicht viel Neues zu erwarten ist.
Anders sieht es für die geforderten Vereinbarungen mit den Freien Trägern von Diensten und Einrichtungen aus. Darin soll geregelt werden, dass sie ebenfalls keine Personen nach dem 1. Satz des §72a KICK beschäftigen.

Wohlweislich hat der Gesetzgeber hier keine Aussagen dazu gemacht, mit welchen Mitteln dies zu verhindern ist, und damit die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Freien Träger geachtet. Auch wenn es – wie bereits jetzt Fälle aus der Praxis zeigen – manche Jugendämter nicht wahr haben wollen: Ein Zwang für Freie Träger, sich von seinen Beschäftigten Führungszeugnisse vorlegen zu lassen, kann aus dem KICK bzw. dem KJHG nicht abgeleitet werden. Dagegen spricht auch, dass eine solche Praxis bei nichtstaatlichen Stellen arbeitsrechtlich nicht unkritisch wäre1.
Eine Abgrenzung des Anwendungsbereiches ergibt sich aus der Formulierung »Durch Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch sicherstellen, dass diese keine Personen nach Satz 1 beschäftigen.« Diese wendet sich nicht pauschal an alle Freien Träger, sondern nur an die Träger von Diensten und Einrichtungen. Der klassische Jugendverband in seiner normalen Verbandsarbeit ist damit nicht erfasst. Anders sieht es dagegen aus, wenn er oder andere Freie Träger, z.B. Träger von Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit oder Jugendbildungsstätten sind.
Die zweite Abgrenzung des Anwendungsbereiches ergibt sich aus dem Personenkreis, auf den sich die Regelung bezieht. Da der §72a einer Präzisierung des §72 dient und dieser regelt, welche Personen hauptberuflich beschäftigt werden sollen, bezieht sich der §72a entgegen anfangs anders lautenden Diskussionen nur auf »hauptberuflich« beschäftigte Personen. Nicht unter diese Voraussetzungen fallen ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Honorarkräfte, da bei ihnen das Kriterium der vollberuflichen Beschäftigung nicht erfüllt ist.
Hier ist deutlich zu sagen, dass eine andere Auslegung nicht gesetzeskonform ist2.
Zusammengefasst heißt dies:
1. §72a trifft nur auf hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Trägern von Diensten und Einrichtungen zu.
2. Wie der Freie Träger sicherstellt, keine einschlägig vorbestraften Personen zu beschäftigen, ist durch das Gesetz nicht geregelt.

Mit welchen Mittel betroffene Jugendverbände bzw. andere Freie Träger den letzten Satz des §72a umsetzen, die einerseits den jeweiligen öffentlichen Träger zufrieden stellen und andererseits praktikabel und (arbeits-)rechtskonform sind, dazu es noch keine Erfahrungen. Hier sind die Jugendämter und Träger vor Ort gefragt. Ein erster Ansatz könnte sein, dass sich der Freie Träger als Arbeitgeber im Rahmen des Fragerechts bei der Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Unvorhandenheit einschlägiger Verurteilungen bestätigen lässt – dies ist arbeitsrechtlich zulässig. Darüber, das er dies tut, kann eine Vereinbarung mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe geschlossen werden.

Paragraph 8a - Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

Mit §8a enthält das KJHG nun einen eigenständigen Paragraphen zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Dies ist inhaltlich absolut zu begrüßen, ist es doch die Intention des Paragraphen, Kinder noch besser vor Missbrauch, Vernachlässigung oder anderer Kindeswohlgefährdung zu schützen.
Der Absatz 1 verpflichtet den öffentlichen Träger zu einer Einschätzung des Gefährdungsrisikos des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen »in Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte«, sobald »gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung« auftreten. Als Erfolg für die Forderungen und Positionen der Jugendverbände und -ringe ist an dieser Stelle zu werten, dass bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos ausdrücklich das Kind oder der Jugendliche mit einzubeziehen ist und damit dessen Subjektstellung und der Gedanke der Partizipation gestärkt wird. Es bleibt aber abzuwarten und kritisch zu begleiten, wie sich dieses Recht von Kindern und Jugendlichen auf Beteiligung in der Praxis hoffentlich durchsetzt.

Absatz 2 fordert den öffentlichen Träger auf, »in Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten […] sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise wahrnehmen«. Damit bleibt diese gesetzliche Regelung zum Schutzauftrag nicht beim Jugendamt, sondern erhält eine neue Bedeutung für Freie Träger.

An dieser Stelle soll auf einen Diskurs über die möglichen konkreten inhaltlichen Füllungen und Definitionen von Worten wie »gewichtige Anhaltspunkte«, »Gefährdungsrisiko« oder auch »Wohl von Kindern und Jugendlichen« verzichtet werden. Denn der Gesetzgeber regelt vor allem das Verfahren, wie z.B. den Abschluss von Vereinbarungen oder die Hinzuziehung einer »insoweit erfahrene[n] Fachkraft« bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos.

Auswirkungen hat der §8a für Jugendverbände

Es ist – ähnlich wie bei §72a – zunächst festzuhalten, dass von den Verfahrensregelungen des §8a normativ die verbandliche Kinder- und Jugendarbeit und die anderen Freien Träger ausschließlich dort betroffen sind, wo sie »Träger von Einrichtungen und Diensten« sind. Die Arbeit der Jugendverbände »an sich« ist normativ nicht erfasst.
Die Jugendverbandsarbeit wäre jedoch schlecht beraten, wenn sie mit dieser Feststellung die Debatte beendet. Hat der §8a doch die positive Wirkung, dass das Thema der Kindeswohlgefährdung ganz aktuell in den Diskussionen aufgenommen und mit Blick auf die Praxis der Arbeit verstärkt betrachtet wird. Die Jugendverbandsarbeit sollte dies auch als Chance sehen, die inhaltliche Intention des Schutzauftrags der Kindeswohlgefährdung in der Arbeit stärker aufzunehmen und umzusetzen.
Daraus können sich zahlreiche Herausforderungen ergeben. So ist jetzt der Zeitpunkt, die Standards des Kindeswohlschutzes für die Arbeit Jugendverbände selbst zu gestalten, anstatt sie durch mögliche zukünftige Rechtsprechungen setzen zu lassen. Einige – meist implizite – Standards gibt es in vielen Jugendorganisationen schon – ebenso wie viele sehr positive Beispiele von Projekten und Regelungen in der praktischen Arbeit.
Klar gesagt werden muss auch, dass Ehrenamtliche nicht automatisch aus der Verantwortung nach §8 genommen sind, sofern sie in Einrichtungen und Diensten von Jugendverbänden tätig sind. Denn die Definition des verwendeten Wortes »Fachkraft« ist nicht von der Art der Beschäftigung (hauptberuflich, ehrenamtlich, nebenberuflich) abhängig. Sie definiert sich allein dadurch, dass sich die Personen »für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entspreche Ausbildung erhalten haben« (vgl. SGB VIII, §72 (1)). Hier müssen die neuen Kommentare zum KJHG, wie die von Wiesner, Münder oder Meysen, abgewartet werden. Es sei aber an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die Jugendverbände für ihre Ehrenamtlichen, die über eine Juleica und vielleicht noch verbandsspezifische Ausbildungen darüber hinaus verfügen, schon oft die Einstufung als Fachkraft reklamiert haben.
Der Deutsche Bundesjugendring hatte im Anhörungsverfahren des Gesetzes deshalb gefordert, zur Klarheit dieses Paragraphen »hauptamtlich« vor den Begriff »Fachkraft« zu setzen3. Diese Änderung fand jedoch leider keinen Eingang.

Vereinbarungen mit dem öffentlichen Träger – ja oder nein?

Die Frage stellt sich nicht für den Fall, dass Jugendverbände Träger von Einrichtungen und Diensten sind, da ist das Gesetz eindeutig.
Schwieriger ist der große Bereich der Jugendverbandsarbeit, der normativ nicht dazu verpflichtet ist. Warum sollte dann aber eine Vereinbarung in Erwägung gezogen werden? Das Jugendamt als öffentlicher Träger wird oftmals durch politischen oder öffentlichen Druck zu Vereinbarungen angehalten – obwohl dies formal nicht erforderlich ist. Es soll und will sicherstellen, dass auch in der jugendverbandlichen Arbeit die Erkennung der Gefährdung einer Kindeswohlgefährdung ernst genommen wird.
Der Deutsche Bundesjugendring hat in seiner Stellungnahme vom 30.04.20044 bezweifelt, »dass der […] gewählte Verfahrensweg, dies über Vereinbarungen zu regeln, im Hinblick auf den damit verbundenen Aufwand, sinnvoll ist«, und hat sich klar gegen Vereinbarungen mit rechtsverbindlichem Charakter ausgesprochen.
Wenn aber Jugendämter – wie zunehmend zu erleben – aufgrund des oben dargelegten Drucks Vereinbarungen abschließen wollen, sollte der Jugendverband im Einzelfall überlegen, ob es sinnvoll ist, eine freiwillige Vereinbarung abzuschließen. Im bejahenden Falle darf sich eine solche Vereinbarung ausdrücklich nicht auf die Verpflichtung in §8a beziehen. Sie sollte vielmehr eine für beide Seiten gewinnbringende Kooperationsvereinbarung sein, bei der unter anderem folgendes zu beachten ist:5
• »Es muss sich um freiwillige Vereinbarungen handeln, d.h. sie dürfen zum Beispiel keine negativen Auswirkungen auf die finanzielle Gestaltung der Verbandsarbeit haben; es darf keine Aufnahme in Bewilligungen, Förder- oder Anerkennungsrichtlinien geben.
• Motivation des öffentlichen Trägers darf es nicht sein (und dies kann sich dann auch nicht durch die Formulierungen ziehen), den aus seinem staatlichen Wächteramt abgeleiteten Schutzauftrag des Jugendamtes auf die Jugendverbände zu übertragen, um sich selbst damit für eventuelle »spektakuläre Fälle von Kindeswohlgefährdung«6 abzusichern. Die Vereinbarungen dürfen nicht dazu führen, dass die Ehrenamtlichen am Ende der formalen Kette (Gesetzgeber – Öffentlicher Träger – Freier Träger – Ehrenamtliche) zur Rechenschaft ge-
zogen werden können – sei es formal oder moralisch. [...]
• Auch die Serviceleistungen des Jugendamtes für den Träger müssen festgeschrieben werden, so dass es sich um eine für beide Seiten ge-winnbringende Vereinbarung handelt, so z.B. die Benennung der »erfahrenen Fachkraft« mit konkreten Erreichbarkeitsmodalitäten oder die Mitarbeit und Förderung von spezifischen Fortbildungen, die Einbringung der Fachkompetenz in die Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit, etc.
• Die Erarbeitung gemeinsamer Standards für Verfahrensabläufe, zum Beispiel wer muss
bei was angerufen werden, sollte festgehalten werden.
Diese Punkte können auch an den Stellen Anhaltspunkte bieten, wo Vereinbarungen abgeschlossen werden müssen, weil der Verband zum Beispiel Träger eines Jugendhauses oder einer Bildungsstätte ist.«

Umsetzung der Intention des §8a in Jugendverbänden

Bei der Umsetzung der Ziele des §8a müssen die Strukturmaximen wie Ehrenamtlichkeit, Freiwilligkeit, Selbstorganisation und die Vielfalt der Angebots- und Zeitformen beachtet werden. Die jugendverbandliche Arbeit lebt durch das vielfältige ehrenamtliche Engagement junger Menschen und diese sind in der Regel keine ausdrücklichen Expertinnen und Experten für die Erkennung der Gefährdung des Kindeswohls, wie es zum Beispiel die Fachkräfte des Allgemeinen Sozialdienst (ASD) der Jugendämter sind. Die Jugendverbände können und wollen sie auch nicht dazu machen.
Anderseits sind auch diese Ehrenamtlichen bei gewichtigen Anhaltspunkten auf Kindeswohlgefährdung, die sie z.B. bei der Gruppenleitung oder auf Freizeitmaßnahmen wahrnehmen, aufgerufen, zu informieren und sich fachlichen Rat zu holen. Die Intention des §8a und die eigenen Ansprüche der Jugendverbandsarbeit fordern diese daher heraus, die Ehrenamtlichen dabei zu unterstützen.

Für die konkrete Umsetzung in der jugendverbandlichen Arbeit hat die Geschäftsführerin des Deutschen Bundesjugendring, Gunda Voigts in der Zeitschrift »Jugendpolitik« des Deutschen Bundesjugendring7 erste Anregungen formuliert. Dazu gehören (verbesserte) Schulungen mit Blick auf die Erkennung von Kindeswohlgefährdung, Entwicklung und Einsatz von Handreichungen, verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, klare innerverbandliche Regelungen und Kooperationsvereinbarungen mit Fachdiensten.

Fazit

Mit den §§ 8a und 72a werden Details, wie z.B. das Verfahren zur Erreichung eines Zieles bzw. eines Auftrages geregelt, die nicht neu sind: der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung.
Neu ist, dass damit bestimmte Verfahren (auch) für die Jugendverbandsarbeit festgeschrieben sind. Hier konnte leider nicht erreicht werden, dass die Spezifika und die Strukturmaxime der Jugendverbände mit ihrer überwiegend ehrenamtlichen Arbeit berücksichtigt wurden.
Daher muss der oberste Grundsatz jetzt für beide Seiten – öffentlicher und Freier Träger – sein, die Folgerungen aus dem Gesetz mit der notwendigen Ruhe und Gründlichkeit zu durchdenken und entsprechende Lösungen und Verfahren zu ent-wickeln. Die Ergebnisse müssen dann so umgesetzt werden, dass die speziellen Gegebenheiten in den jeweiligen Feldern der Jugendhilfe berücksichtigt werden.
Dazu ist Kooperation gefragt. »Schnellschüsse« oder Zwang aus politischen oder öffentlichen Druck helfen genauso wenig weiter, wie eine mögliche »Verweigerungshaltung« bei Freien Trägern.

Das Gesetz hat es geschafft, die fachliche Diskussion um den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung verstärkt in Gang zu setzen und die Fachöffentlichkeit für die Thematik zu sensibilisieren. Nun muss es darum gehen, die Intention der Paragraphen umzusetzen – dem Wohl von Kindern und Jugendlichen zu dienen – und nicht einen neuen abschreckenden Formalismus zu schaffen.


Anmerkungen:
1. vgl. Dr. Th. Meysen / Gila Schindler:
Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung: Hilfreiches Recht beim Helfen in Jugendamt 10/2004 S. 463ff
2. vgl. Wiesner, Mörsberger u.a.: SGB VIII, §72 Rn. 3. München 2000.
3. Vgl. Deutscher Bundesjugendring: Stellungnahme zu den vorliegenden Gesetzesentwürfen anlässlich der öffentlichen Anhörung
des Bundestagsauschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 13.04.2005. Berlin 2005
4. Deutscher Bundesjugendring: Stellungnahme zum Referentenentwurf für das »Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarsfgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (TAG)« . Berlin 2004.
5. Gunda Voigts: Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung im Kinder- und Jugendhilfeerweiterungsgesetz (KICK) und deren Bedeutung für die Angebote der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit veröffentlicht in »Jugendpolitik«, Herausgeber Deutscher Bundesjugendring Ausgabe 3/2005
6. Siehe Gesetzesbegründung zum TAG
7. siehe 5.




Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK
Auszug

§ 8a - Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.

(2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen. Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung abzuwenden.

§ 72a - Persönliche Eignung
Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen hin sichtlich der persönlichen Eignung im Sinn des § 72 Abs. 1 insbesondere sicherstellen, dass sie keine Personen beschäftigen oder vermitteln, die rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 181a, 182 bis 184e oder 225 des Strafgesetzbuches verurteilt worden sind. Zu diesem Zweck sollen sie sich bei der Einstellung und in regelmäßigen Abständen von den zu beschäftigenden Personen ein Führungszeugnis nach § 30 Abs. 5 des Bundeszentralregistergesetzes vorlegen lassen. Durch Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch sicherstellen, daß diese keine Personen nach Satz 1 beschäftigen.



Veröffentlichungen rund um KICK (§§8a und 72a)

• Prof. Dr. Dr. hc. Reinhard Wiesner | Das Wächteramt des Staates und die Garantenstellung der Sozialarbeiterin / des Sozialarbeiters zur Abwehr von Gefahren für das Kindeswohl
veröffentlicht im Zentralblatt für Jugendrecht vom 91. Jahrgang Heft 5/2004 | Seiten 161-200
• Deutscher Städtetag | Strafrechtliche Relevanz sozialarbeiterischen Handelns - Empfehlungen zur Festlegung fachlicher Verfahrensstandards in den Jugendämtern bei akut schwerwiegender Gefährdung des Kindeswohls | Stand: 1. April 2003
• Holger Gläss / Albrecht Etzel | Auf Fachlichkeit im ASD beharren - Wegen und trotz der strafrechtlichen Risiken
Veröffentlicht in Jugendhilfe 38 5/2000
• Prof. Dr. Dr. hc. Reinhard Wiesner | Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK)
Veröffentlicht im Forum Erziehungshilfe 11. Jahrgang 2005, Heft 4
• Dr. Thomas Meysen, Heidelberg / Gila Schindler | Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung: Hilfreiches Recht beim Helfen
Veröffentlicht in Jugendamt (JAmt) Heft 10/2004
• Deutscher Bundesjugendring | Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages am 13. April 2005 zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich (KEG), zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch
Drucksachen 15/3676, 15/3986, 15/4045, 15/4532, 15/4158 vom 13.04.2005 | www.dbjr.de
• Deutscher Bundesjugendring | Stellungnahme des Deutschen Bundesjugendring zum Referentenentwurf für das »Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG)«
vom 30.04.2004 | www.dbjr.de
• Gunda Voigts | Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung im Kinder- und Jugendhilfeerweiterungsgesetz (KICK) und deren Bedeutung für die Angebote der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit | Veröffentlicht in der Zeitschrift »Jugendpolitik« | Herausgeber Deutscher Bundesjugendring Ausgabe 3/2005