Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2005, Rubrik Titelthema

Ein Netz für mehr Sicherheit knüpfen

Das Projekt PräTect zur Prävention sexueller Gewalt des Bayerischen Jugendringes

Von Beate Steinbach, Bayerischer Jugendring

Die Prävention sexueller Gewalt ist eine aktuelle und wichtige Anforderung an »gute« Kinder- und Jugendarbeit, und die Frage, wie sich sexuelle Übergriffe wirksam verhindern lassen, wird inzwischen immer häufiger auch öffentlich gestellt.

Was ist mit sexueller Gewalt gemeint?

Sexuelle Gewalt bedeutet, dass eine Person die Unwissenheit, das Vertrauen oder die Abhängigkeit eines Kindes zur Befriedigung der eigenen sexuellen Bedürfnisse benutzt. Sexuelle Gewalt ist jede sexuelle Handlung unter Ausnutzung einer Macht-, Autoritäts- und/oder Vertrauensposition, wodurch die Persönlichkeit des Kindes verletzt oder missachtet wird.
Sexuelle Gewalt kommt in erschreckender Häufigkeit vor. Die Polizeiliche Kriminalstatistik, die das so genannte »Hellfeld«, also die bekannt gewordenen Fälle erfasst, belegt für 2004 15.255 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern1. Untersuchungen zufolge erscheint es realistisch, dass die Dunkelziffer in diesem Bereich ca. 10 bis 20-fach höher liegt. Das bedeutet, dass in Deutschland etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder zehnte bis zwölfte Junge sexuelle Gewalt erlebt. Der überwiegende Teil der Täter sind Männer, zunehmend wird aber deutlich, dass es auch weibliche Täterinnen gibt (derzeit wird von einem Prozentsatz von ca. 10 - 15 % ausgegangen). Der Anteil von Jugendlichen und Heranwachsenden unter den Tatverdächtigen ist mit ca. 30 % außerordentlich hoch.

Sexueller Missbrauch durch Fremde ist verhältnismäßig selten. Kinder und Jugendliche erleben sexuelle Übergriffe sehr häufig in ihrem sozialen Nahraum und von Menschen, denen sie vertrauen und von denen sie Unterstützung, positive Zuwendung und emotionale und soziale Fürsorge erwarten. Dies können Familienmitglieder, Bekannte oder Freunde, aber auch Nachbar/innen, Lehrer/innen, Jugendleiter/innen, Pfarrer/innen, Ärzte/Ärztinnen, Erzieher/innen usw. sein.

Mädchen und Jungen jeden Alters und jeder Herkunft können von sexueller Gewalt betroffen sein. Angesichts der erschreckenden Fallzahlen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich auch in »unseren« Jugendgruppen bereits betroffene Kinder und Jugendliche befinden.
Gleichzeitig wissen wir, dass Täter und Täterinnen meist planvoll vorgehen und sich bevorzugt Berufsfelder und Arbeitsbereiche suchen, in denen sie Kontakt zu Mädchen und Jungen aufbauen können.
Deshalb muss die Prävention sexueller Gewalt auch ein Thema in der Kinder- und Jugendarbeit sein. Denn: Wir haben sowohl Betroffene als auch Täter unter uns.

Das Präventionskonzept des Bayerischen Jugendrings

Im Juli 2003 startete »PräTect«, das Projekt des Bayerischer Jugendring (BJR) zur Prävention sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit.
Die entscheidende Vorarbeit, die dies ermöglichte, wurde von der 1999 eingesetzten Landesvorstands-Arbeitsgruppe »Prävention vor sexueller Gewalt« geleistet. Dem engagierten Einsatz der Arbeitsgruppen-Mitglieder und des Landesvorstands ist es zu verdanken, dass der Verein »Power-Child e.V.« und die Stiftung »Bündnis für Kinder – gegen Gewalt« als Förderpartner/innen für dieses Projekt gewonnen werden konnten.

Angetreten ist PräTect mit dem Ziel, ein »Netz der Sicherheit« aufzubauen, das Mädchen und Jungen in der Kinder- und Jugendarbeit möglichst wirksam vor sexueller Gewalt schützt.

Dazu wurden in der Konzeption folgende vier Aufgabenbereiche formuliert:
• Vermittlung von Grundinformationen zum Thema und daraus folgend Sensibilisierung
der Kinder- und Jugendarbeit in Bayern,
• Entwicklung und Verbreitung von Schulungs- und Informationsmaterialien,
• Entwicklung und Implementierung von Methoden der Prävention,
• Öffentlichkeitsarbeit, Beratung, Vernetzung.
In allen vier Aufgabenfeldern konnten von PräTect erfolgreich Maßnahmen initiiert und Angebote für die Kinder- und Jugendarbeit geschaffen bzw. ausgebaut werden.

Dazu gehören z.B.:
• Informationen, Arbeitsmaterialien und Praxishilfen z.B. die Reihe »Prävention vor sexueller Gewalt in der Kinder – und Jugendarbeit«,
in der gerade der vierte Baustein »Ausbildungsleitfaden zur Schulung von Jugendleiter/innen« erstellt wird,
• Ein bayernweiter »Pool« kompetenter Fachreferent/innen zum Thema, die für Schulung und Fortbildung gebucht bzw. von PräTect vermittelt werden können,
• Vernetzung und Kooperation von PräTect mit Fachberatungsstellen in ganz Bayern,
• Regelmäßige Infoveranstaltungen und Tagungen zum Thema,
• Individuelle Beratung zu möglichen Präventionsmaßnahmen für Jugendverbände und Jugendringe.

Zwei Ebenen der Prävention: Pädagogische Arbeit und strukturelle Verankerung

Vorbeugend zu handeln fängt im pädagogischen Alltag an. Grundlegend ist hierbei eine Erziehungshaltung, die von Wertschätzung und Aufmerksamkeit dem einzelnen Kind oder Jugendlichen gegenüber geprägt ist.

Ein wichtiger Schritt zur Prävention sexueller Gewalt ist getan, wenn wir den Gedanken zulassen, dass auch in unserem Umfeld Kinder und Jugendliche von sexueller Gewalt betroffen sein können.
Ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeiterinnen sollten für dieses Thema sensibilisiert sein, durch Aus- und Fortbildung über das nötige Grundwissen verfügen sowie Beratungsstellen und Ansprechpartner/innen kennen, an die sie sich wenden können. Dieses Wissen kann helfen, aufmerksam zu sein, die Wahrnehmung zu schärfen und aufkommendes Misstrauen oder Verdachtsmomente nicht einfach zu übergehen. Nur wenn Erwachsene sich ihrer Verantwortung stellen und durch aktives Handeln sicher stellen, dass Grenzverletzungen nicht geduldet werden, können die inhaltlichen Ansprüche einer täterpräventiven Arbeit eingelöst werden.
Täterprävention erfordert jedoch auch die Schaffung präventiver institutioneller Strukturen: Maßnahmen, die Institutionen ergreifen können, um präventive Arbeit gegen sexuelle Gewalt in das Konzept einzubinden, sind z.B. verbindliche Leitlinien, die das Recht von Mädchen und Jungen auf sexuelle Selbstbestimmung formulieren, klar definierte Konsequenzen bei Regelverstößen, regionale Ansprechpartner/innen zur Fragen der Prävention von sexueller Gewalt etc..

Ein wichtiger Schritt zur strukturellen Absicherung des Themas in der bayerischen Jugendarbeit war die Diskussion und Beschlussfassung des Hauptausschusses im März 2005. Die Delegierten verabschiedeten einen Katalog von konkreten Aufgaben und Maßnahmen des Bayerischen Jugendringes, seiner Verbände und Gliederungen, um die Prävention von sexueller Gewalt auf allen Ebenen und in allen Formen der Kinder- und Jugendarbeit zu verankern.
So stellte sich zum Beispiel die Frage nach dem Einsetzen eines flächendeckenden Netzes von sogenannten »Vertrauenspersonen« in allen Einrichtungen und Gliederungen des BJR. Des weiteren wurde beraten, wie das Thema »Prävention sexueller Gewalt« in die Multiplikator/innen-Ausbildung aufgenommen bzw. wie flächendeckend entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote für ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter/innen in der Jugendarbeit angeboten werden können.
Aufgabe von Prätect ist es dabei, die Organisationen bei der Umsetzung der Maßnahmen fachlich zu beraten und Anregungen für Entscheidungsträger in der Jugendarbeit zu geben.

Was bringt PräTect? Einige Erfahrungen aus der Projektarbeit

Nach gut zwei Dritteln der geplanten Projektlaufzeit lassen sich einige Tendenzen und Ergebnisse zusammenfassen:
Der Bedarf an wirksamen Maßnahmen zur Prävention sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit hat sich bestätigt. Ein großer Teil der Organisationen der Kinder- und Jugendarbeit berichtete in Gesprächen davon, bereits mit Vorfällen konfrontiert gewesen zu sein. Trotz dieser – angesichts der statistischen Aussagen wenig überraschenden – Tatsache lässt sich beobachten, dass die Prävention sexueller Gewalt ein »sperriges« Thema in der Kinder und Jugendarbeit ist, das noch immer tabuisiert wird.

Die steigende Anzahl an Nachfragen aus und Aktivitäten in den Mitgliedsorganisationen lässt jedoch auch darauf schließen, dass die Arbeit ihre Zielgruppen erreicht und dass die Angebote von PräTect weitgehend dem Bedarf entsprechen. Die persönliche Kontaktaufnahme mit Vertreter/innen von Jugendverbänden und Jugendringen hat sich dabei als wichtiges Instrument der Arbeit erwiesen. Aus den bisherigen Erfahrungen wurde deutlich, dass direkte Kontakte und Gespräche mit den verschiedenen Trägern unerlässlich sind, um die Hemmschwelle gegenüber diesem sensiblen Thema zu überwinden.

Untersuchungen zur Wirksamkeit von präventiven Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt bestätigen die Konzeption von PräTect. Gleichermaßen ist deutlich, dass es zum Erreichen des Zieles, ein »Netz der Sicherheit« zum Schutz von Mädchen und Jungen zu knüpfen und aufrecht zu erhalten, einer Fülle von Ansatzpunkten und Aktivitäten bedarf.
Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Möglichkeiten des Projektes durch die zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen begrenzt sind. Auch deshalb ist es wichtig, Verantwortlichkeiten und Aufgaben »nach unten« weiterzugeben, d.h. (regionale) Strukturen zur Prävention sexueller Gewalt zu befördern, die auch ohne die Mitwirkung des Projektes »funktionieren«.
Die Kooperation mit der Landesvorstands-AG nimmt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Funktion ein, da deren Mitglieder die Vernetzung der Organisationen und die Verbreitung des PräTect-Ansatzes in besonderer Weise unterstützen können.

Vom 03. – 05. April 2006 veranstaltet PräTect eine Fachtagung mit dem Titel »Sexuelle Gewalt verhindern – Ergebnisse und Perspektiven zur Prävention in der Kinder- und Jugendarbeit«, bei der wir uns damit auseinander setzen werden, welche spezifischen Aufgaben sich der Jugendarbeit angesichts des Problems sexuelle Gewalt stellen, welche realistischen Möglichkeiten bestehen, dieser Gefahr zu begegnen, und welche Ressourcen und Schwierigkeiten benannt werden können. Weiterhin sollen Ergebnisse des Projektes präsentiert und in Hinblick auf eine Übertragbarkeit auf andere Felder und Bereiche der Jugendarbeit überprüft werden.

Anmerkungen:
1. Diese Zahl bezieht sich auf die §§ 176, 176a, 176 b StGB. Nicht eingeschlossen sind hier andere Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung wie z.B. sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung.

Weitere Informationen unter www.praetect.bjr.de
oder bei der Projektmitarbeiterin Beate Steinbach
Email: steinbach.beate@bjr.de| Tel.:(089) 514 58 63
Fax: (089)514 58 77



Zur Person:

Beate Steinbach, geboren 1965, Dipl.-Pädagogin mit Zusatzqualifikation Sozialbetriebswirtin. Seit 2003 Projektreferentin im Projekt »PräTect – Prävention sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit« des Bayerischen Jugendrings. Zuvor arbeitete sie 8 Jahre in der offenen Jugendarbeit in Würzburg mit den Schwerpunkten geschlechtsspezifische Jugendarbeit, insbesondere Arbeit mit Mädchen, Jugendbildung und -beratung, Vernetzung. Langjährige ehrenamtliche Tätigkeit mit sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen und im Themenbereich Frauen in Forschung und Praxis.