Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 5-2005, Rubrik Titelthema

Für eine starke Kinder- und Jugendpolitik

von Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein

Die Koalitionsverhandlungen zu den Politikfeldern Kinder und Jugend, Frauen und Familie sowie Senioren wurden engagiert auf der Basis durchaus unterschiedlicher politischer Zielvorstellungen der beiden großen Regierungsparteien geführt. Für die Sozialdemokratie war wichtig,
• dass die Kinder- und Jugendpolitik einen angemessenen Stellenwert in der Koalitionsvereinbarung bekommt,
• dass die Familienpolitik der vergangenen Jahre durchgesetzt und noch verstärkt wird,
• dass Frauenpolitik als Politik der Geschlechter-gerechtigkeit einen eigenen Stellenwert hat und
• dass die Seniorenpolitik nicht auf die Pflegepolitik reduziert wird.

Mir kam es darauf an, dass der Rechtsanspruch für Kinder unter 3 Jahren mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz weiterhin Politik der Bundesregierung bleibt und darüber hinaus der individuelle Rechtsanspruch für Zweijährige perspektivisch verankert wird.
Mir war wichtig, dass die Allianz für die Familie und die Lokalen Bündnisse als strukturpolitische Akzente der Familienpolitik fortgeführt werden und dass die Familien entlastende und unterstützende Infrastrukturpolitik auch zukünftig verlässlich weiterentwickelt werden kann. Ich wollte, dass die Kinder- und Jugendpolitik mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ihre Basis erhält und nicht die christdemokratischen Vorstellungen zum Abbau von Rechten durchgesetzt werden. Nicht zuletzt war es auch mein Wunsch, dass auf Bundesebene der Nationalplan für ein Kind gerechtes Deutschland als Basis für jugendpolitische Vorstellungen eine bedeutende Rolle bekommt.
Der Bereich der Kinder- und Jugendpolitik nimmt im Koalitionsvertrag breiten Raum ein:

• Bessere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.
Kinder und Jugendliche in politische, planerische und zukunftsorientierte Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse einzubeziehen, ist für die Zukunft eines demokratischen Gemeinwesens unverzichtbar. Wir werden die Aktivitäten zur Partizipation gemeinsam mit den Jugendverbänden weiterentwickeln, die Bedeutung der Kinderrechte stärken usw.
• Kinder und Jugendliche sollten bei Planungen, die ihre Interessen berühren, in altersgemäßer Weise einbezogen werden. Neben der nationalen spielt die europäische Dimension bei dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle. Deswegen ist sowohl der Pakt für die Jugend verankert als auch der Hinweis darauf, dass das EU-Programm »Jugend in Aktion« eine gute Basis ist und für Deutschland genutzt werden soll.

• Chancengleichheit in der Bildung
Die Bedeutung der Chancengleichheit in der Bildung ist in der Vereinbarung umfänglich und befriedigend dargestellt. Insbesondere der Ansatz der ganzheitlichen Bildung, die Bedeutung der nicht-institutionellen Bildung der Jugendarbeit, der kulturellen Jugendbildung, informeller Bildungsprozesse und gleichaltrigen Gruppen sind angesprochen.

• Aufwachsen ohne Gewalt
Dem Schutz von Kindern gegen Misshandlung, Vernachlässigung und Gewalt müssen wir unsere ganze Aufmerksamkeit widmen. Insbesondere sind auch präventive Angebote durch die Kooperation im internationalen und europäischen Raum, durch innovative Modellmaßnahmen zur Kriminalitätsprävention und zur Verbesserung des Opferschutzes verankert. Das Wächteramt des Staates und der Stützauftrag der Gemeinschaft von Gewalt betroffener und vernachlässigter Kinder ist durch Regelungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz bereits gestärkt worden. Die Verpflichtung des Bundes zur Umsetzung des Gesetzes in die Praxis ist im Koalitionsvertrag fixiert. Einen angemessenen Raum nimmt auch die notwendige Hilfe und Prävention für Jugendliche vor Verschuldung bzw. bereits verschuldete Jugendliche ein. Jetzt gilt es, diese Verpflichtung in die Praxis umzusetzen.

• Chancen für benachteiligte Jugendliche
Jeder junge Mensch braucht die Chance auf Existenzsicherung durch Ausbildung und Arbeit. Keiner darf zurück gelassen werden. Dass auch die Jugendhilfe ergänzend zu den Arbeitsmarktakteuren hier eine entscheidende Aufgabe hat, wird im Koalitionsvertrag verankert. Insbesondere die Verzahnung der verschiedenen Akteure zu wirksamen Initiativen zu beruflichen Integration wird betont. Die positive Bedeutung des Programms »Soziale Stadt« auf jugendintegrative Maßnahmen erfordert auch in der Zukunft finanzielle Ressourcen. Dass bei öffentlichen Vergabeverfahren auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene Unternehmen bevorzugt werden können, die ausbilden, ist ein deutlicher Hinweis, dass wir es ernst meinen.

• Jugend für Toleranz und Demokratie
Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, für Demokratie und Toleranz muss fortgeführt und verstetigt werden. Deswegen ist es unser Ziel, das Verständnis für die gemeinsamen Grundwerte und kulturelle Vielfalt zu entwickeln und die Achtung der Menschenrechte zu fordern. Aktionsprogramme des Bundes spielen dabei eine bedeutende Rolle und sollen auch in Zukunft eingesetzt werden.

• Kinder- und Jugendhilfe
Anregungen aus dem 12. Kinder- und Jugendbericht zur Verbesserung der Bildungs- und Teilhabe junger Menschen sollen aufgegriffen und weiter entwickelt werden. Es gilt, Kooperationsstrukturen zu verbessern, die jeweiligen Bildungs- und Erziehungsaufträge von Eltern, Schule und Jugendhilfe in gemeinsamer Verantwortung wahrzunehmen und künftig stärker die Potentiale effektiver auszuschöpfen – ohne fachliche Ressentiments und auf Augenhöhe. Jugendhilfe und Schule sind noch besser zu verzahnen. Der Bund wird die Förderung, Vernetzung und den Transfer guter Praxis voranbringen. Die Präventionsarbeit soll i.S. einer Peer-Group-Beratung verstärkt werden. Die Lücke im Bereich der Jugendhilfe – die Wirkungsforschung – soll geschlossen werden, damit Jugendhilfe auch auf Basis »harter Fakten« den parteilichen Stellenwert für junge Menschen stärken kann. Die Verstärkung der Wirksamkeit, Effizienz, Zielgenauigkeit und Nachhaltigkeit von Förderstrukturen und Programmen sollen der nachhaltigen Sicherung der Arbeit der Jugendverbände dienen.
Das derzeitige Kinder- und Jugendhilfegesetz wird nicht reformiert. Die kürzlich beschlossenen gesetzlichen Veränderungen sollen zunächst ihre Wirkungen entfalten können bzw. evaluiert werden, bevor ggf. weitere Schritte zu erfolgen haben.

• Organisationshoheit und Strukturen
Mit Blick auf die Organisation der Jugendhilfe ist die weitere Entwicklung im Rahmen der Föderalismusreform von erheblicher Bedeutung. Aufgrund der Deregulierungen und Öffnungsklauseln könnte es zu einer Abkehr von der Verpflichtung zu einer abgrenzbaren, eigenständigen Organisationseinheit Jugendamt kommen. Diese und andere Fragen der Jugendhilfe im Kontext der Föderalismusreform befinden sich noch im Entscheidungsprozess.
Abschließend bleibt festzustellen, dass die Koalitionsvereinbarung eine durchaus wichtige Grundlage für die Politik der Kinder- und Jugendpolitik der nächsten Jahre ist. Natürlich unterliegt jede Koalitionsvereinbarung einem Haushaltsvorbehalt. Somit kommt es jetzt auf die Durchsetzungsfähigkeit und das persönliche Engagement aller Politikerinnen und Politiker an, für nachwachsenden Generationen vernünftige Lösungen zu finden.