Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2007, Rubrik Kommentar

Hamburg, meine Zukunft ...

Von Hans-Jürgen Plate, LJR-Vorsitzender

Hamburg, nur noch wenige Wochen bis zur Bürgerschaftswahl. Der Kurs der einen großen Partei scheint klar; sie will im großen Zukunftsthema Bildung punkten. Doch – was vernehmen wir zum Thema Gymnasium: ja – nein – vielleicht?

Aber wen interessiert das? Laut aktuellen Umfragen offenbar nicht viele. Thema Nummer Eins ist und bleibt: die Arbeitslosigkeit oder die Sorge davor, in den sozialen Abwärtssog zu geraten.

Bildung ist als Thema fraglos der Medienstar; die Angst vor sozialem Abstieg hingegen so etwas wie eine »hidden agenda« in der politischen Öffentlichkeit. Man spricht nicht gern direkt darüber, aber sie ist allerorten spürbar.

Diese Unübersichtlichkeit stützt den Kurs der anderen großen Partei in Hamburg. Sie meidet die Bildungsfrage so dezent wie der Teufel das Weihwasser und umgeht damit die teilweise eklatanten Missstände im Hamburger Bildungssystem mehr oder weniger geschickt. Noch scheint diese Strategie aufzugehen. Die Sonne des viel beredeten (oder nur beschworenen) wirtschaftlichen Aufschwungs überstrahlt die Schattenseiten. Doch wie lange noch? Zwischen Bildung als Zukunftsthema und der hidden agenda sozialer Abstiegsangst gibt es eine Nahtstelle.

Nelson Mandela benannte diese treffend: »Das größte Problem in der Welt ist Armut in Verbindung mit fehlender Bildung. Wir müssen dafür sorgen, dass Bildung alle erreicht.« Gewiss, so genannte Entwicklungsländer sind hinsichtlich sozialer Chancen nicht mit Deutschland vergleichbar. Bei uns ist es theoretisch möglich, dass Bildung allen zugänglich ist. Doch auf der sozial-ökonomischen Stufenleiter, die Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen erklommen hat, gibt es ein Gefälle, das junge Menschen auch abrutschen lässt. Und sie renitent werden lässt.

Nur ein Beispiel. In Berlin wurde kürzlich ein privater Wachschutz zur Waffenkontrolle bei Schülern vor »auffälligen Schulen« postiert, um die Gewalt auf dem Schulhof einzudämmen. Dies erscheint als ein letztes Mittel vor dem Schulkollaps durch gewaltbereite Schüler, als eine Notmaßnahme angesichts einer eklatanten Fehlentwicklung.
Deren Gründe liegen allerdings vor dem Schulhof und werden durch »auffällige Schulen« lediglich fokussiert. Was ist passiert? Schüler aus »sozialen Problemvierteln« nehmen die Konkurrenz um Chancen in der Gesellschaft, von einer Volkspartei als »Chancengesellschaft« verharmlost, offenbar unmittelbar und sehr wörtlich. Auf dem Schulhof erproben sie – mit unerlaubten Mitteln – ihre Durchsetzungschancen gegen Schwächere. Der Verdrängungswettbewerb eskaliert gewaltsam. Ein »Bürgerkrieg« in der Adoleszenzphase. Bildung ade.

Und die Kehrseite? Wie erleben diese Schüler die Gegenreaktion, mittels Wachschutz einen gewaltfreien Schulhof wieder herzustellen? Sehen sie ihre Zukunftsperspektive in Uniform unmittelbar vor der Schule stehen? Sagen sie: Wir sind nicht gewollt, man will sich nicht mit uns beschäftigen, man lässt uns bewachen?
Ein sehr gefährliches Projekt, weil so Schulen noch weniger Akzeptanz erwarten können als bisher. Eine solche Schule läuft Gefahr, als moderne Verwahrungsanstalt für verhaltensauffällige Jugendliche dazustehen. Statt die Gründe der Fehlentwicklung zu hinterfragen und anzupacken, werden Symptome an sozialen Brennpunkten bekämpft.

Hoffentlich ist dies kein Weg für Hamburg. Denn die Ansätze stimmen einfach nicht. Die Debatte über Bildung ist allein auf den Komplex »Schulsysteme« fokussiert, nonformale Bildungsprozesse werden hingegen sträflich ausgeblendet. Damit Schule »Menschen bilden« kann und in ihr nicht gesellschaftliche Fehlentwicklungen eskalieren, ist es notwendig, bildungsfördernde Prozesse jenseits des Schulhofes zu hegen und zu erhalten. Ohne ein bildungsermöglichendes soziokulturelles Umfeld wäre ein jedes Schulsystem hoffnungslos überfordert. Das gilt für Medien wie für Familie, für politische Öffentlichkeit wie für das soziale Nahfeld.

Einen Teil zu diesem Bildungsbiotop steuern Jugendverbände bei. Gleichwohl verzichtet die Ganztagsschule in Hamburg – bis auf eine Vereinbarung mit dem Hamburger Sportjugend – fast gänzlich auf eine Einbindung der Jugendverbände und bleibt bei ihrer Linie treu, nur einfache Wege zu gehen. Dabei wird die nonformale Bildung, die wir in den Jugendverbänden leisten, in seiner Tragweite weder anerkannt noch ausreichend gefördert. Dies hat Nach- und Vorteile.

Nachteilig ist die nicht ausreichende finanzielle Ausstattung unserer Arbeit und ebenso die Missachtung unserer Arbeit mancherorts. Durch eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung wäre es uns weiter greifend möglich, Kindern und Jugendlichen durch Angebote zur Selbstorganisation soziale Kompetenz zu vermitteln. Diese ist als Grundlage notwendig, um Bildung als Chance zu verstehen. In unseren Verbänden ist sehr viel einfacher, über Einkommensgrenzen in Elternhäusern hinaus miteinander zu arbeiten, zu leben und voneinander zu lernen. Natürlich gibt es auch hier Einschränkungen, aber diese sind überwindbar!

Von Vorteil ist aber auch, dass wir so dem Anpassungsdruck an sozialtechnische Moden entgehen können. Verbandliche Jugendarbeit ist keine sozialpräventive Maßnahme, um Fehlentwicklungen Jugendlicher zu korrigieren. Und sie ließe sich darin auch nicht ohne Schaden für's Ganze einspannen. Denn ihr Wesen ist Autonomie, ein Gestaltungsfreiraum von Jugendlichen für Kinder und Jugendliche.
Und ganz nebenbei »produzieren« wir in unseren Jugendverbänden eine Ressource, derer gerade auch die Bürgergesellschaft bedarf: den jungen Menschen, der Verantwortung in demokratischen Gemeinwesen übernimmt. Von dieser Förderung leben unsere Verbände, aber nicht nur sie. Schule, Universitäten, Unternehmen, Politik und Gesellschaft profitieren von diesen hoch qualifizierten Ehrenamtlichen. Sie sind ein Bestandteil großen Engagements in die Zukunft Hamburgs, und damit auch ein Teil des Weges aus der Bildungskrise …