Von Tilmann Dieckhoff, Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken
Viele junge Menschen kamen auch dieses Jahr wieder zu den antirassistischen Aktionstagen am 15. und 16. November im Stadtteilzentrum Kölibri in St. Pauli und nahmen am Wochenende gegen alltägliche Gleichgültigkeit – respekt* 6 teil. Die Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände und der Pfadfinder/innen Bund Nord, die diese Veranstaltung erstmals mit der Unterstützung der Sozialistischen Jugend Deutschlands – die Falken organisierten, positionierten sich damit im sechsten Jahr in Folge gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Erfreulich viele Interessierte nahmen das Angebot nicht nur wahr, sondern beteiligten sich engagiert an den vielfältigen Auseinandersetzungen, die zu rechten Inhalten und Strukturen stattfanden.
Am Samstagnachmittag fanden Workshops statt, in denen man sich über braune Kameradschaften, das Frauenbild der Rechten, Codes und Symbolik der Nazis, antisemitische Verschwörungstheorien und Streetart gegen Rechts beschäftigen und außerdem selbst Ideen und Gegenstrategien entwickeln konnte. Das Interesse der zahlreichen Teilnehmenden war groß, und so dauerten mehrere Workshops deutlich länger als eigentlich vorgesehen.
Am Abend erzählte Antje Kosemund in einem Zeitzeugengespräch wie sie als 15jährige Jugendliche die Nazizeit erlebte, während der ihre Schwester Irma im Rahmen des sogenannten Euthanasieprogramms von den Nazis ermordet wurde. Antje Kosemund erlebte die Deportation ihrer kleinen Schwester Irma von Hamburg nach Wien mit. Dort wurden in der Kinder-»heil«-anstalt am Spiegelgraben Kinder und Jugendliche mit Behinderung und Menschen, deren Leben von den Nazis als unwert befunden wurde, in Versuchen gefoltert und ermordet. Irma Sperling, die Schwester Antje Kosemunds, litt dort fünf Monate, bevor ihr Gehirn nach ihrem Tod vom damaligen Psychiater Heinrich Gross präpariert und die Leiche des Mädchens in einem Massengrab »beseitigt« wurde.
Erst 1996 wurden Irma Sperling mit 507 weiteren Opfern der Wiener Anstalten bei einer Gedenkveranstaltung beigesetzt. Über sechs Jahre musste Antje Kosemund jedoch für dieses Begräbnis kämpfen, da man, wie sie erzählte, bis heute versuche, die an den Morden beteiligten Personen zu decken und deren Taten zu verschleiern.
Scharfe Worte fand Antje Kosemund auch für Befürworter der aktiven Sterbehilfe, wie den ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch. Niemals wieder dürften Menschen sich an der Tötung kranker Menschen beteiligen. Es liege nicht in der Macht der Menschen, wann jemand zu sterben hat.
Neben den erschreckenden Erfahrungen konnte Antje Kosemund aber auch lustige Anekdoten aus ihrer Kindheit erzählen.
Zum Abschluss ermutigte sie die Zuhörenden, sich bei Unrecht quer zu stellen, sich Hilfe zu holen und gemeinsam für das Recht zu kämpfen. Keinen falschen Respekt solle man dabei vor Menschen in hohen Ämtern haben, denn auch sie »kommen nackt auf die Welt und werden sie auch so wieder verlassen«.
Am Sonntag berichtete Christan Dornbusch im Rahmen der Frühstücksmatinée über die Funktionen rechter Musik und deren Gefahren. Er warnte davor, den Einfluss rechtsextremer Musik zu unterschätzen und forderte auf, nicht wegzuhören, sondern sich mit den Konsumenten/innen dieser Musik auseinanderzusetzen und die meist jugendlichen Hörer/innen kritisch mit den Inhalten der Texte zu konfrontieren.
Bleibt zu hoffen, dass sich die Besucher/innen des respekt*-Wochenendes in der Zukunft nicht mit den an diesen zwei Tagen im November präsenten Themen beschäftigen müssen. Was hieße, das die Gesellschaft von rechtsextremistischen Tendenzen freier würde. Und was nicht heißt, dass es nicht wichtig ist, sich weiterhin gegen die menschenverachtenden Ideologien der Rechten zu stellen und sich für ein tolerantes, solidarisches Miteinander einzusetzen.