Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2009, Rubrik Titelthema

Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement

Empfehlungen aus dem Forschungsprojekt »Informelle Lernprozesse im Jugendalter in Settings des freiwilligen Engagements«*

Von Erich Sass, Universität Dortmund

»Was lernen Jugendliche durch ein freiwilliges Engagement?« lautete die Grundfrage eines Forschungsprojekts, welches von 2003 bis 2007 von der Technischen Universität Dortmund und dem Deutschen Jugendinstitut in München unter dem Titel »Informelle Lernprozesse im Jugendalter in Settings des freiwilligen Engagements« durchgeführt wurde. Den Befunden der Studie zufolge, hat der Kompetenzgewinn aus einem jugendlichen Engagement nachhaltige Effekte, die noch im Erwachsenenalter wirksam sind, und zwar bezüglich des Kompetenzprofils, der Persönlichkeitsentwicklung, der beruflichen Orientierung und Karriere sowie der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung.

Die wichtigsten Empfehlungen aus der Studie für die Praxis, aber auch für Politik und Verwaltung, werden im Folgenden, illustriert durch einige Untersuchungsergebnisse, zusammengefasst.

I. Empfehlungen für die Praxis

1. Mit Diffusität umgehen – Gestaltungsspielräume eröffnen und erhalten

Schaut man auf die untersuchten Settings, die Jugendverbände, die Initiativen und Schülervertretungen, stellen sie sich zunächst als relativ diffuse Gebilde dar. Die Alltagsoffenheit der Organisationen ermöglicht Cliquen und Einzelpersonen niedrigschwellige Zugänge zu ihren Aktivitäten und damit den Zugang zu einem Raum, der Verbindungen zwischen Privatbereich und dem öffentlichen Leben schafft. In der Praxis mischen sich Freizeitaktivitäten mit Engagement oder auch private Probleme mit politischen Themen. Allein zu sagen, wer zu den Mitgliedern und wer zu den freiwillig Engagierten zählt, fällt einigen Organisationen schwer. In diesem intermediären Raum zwischen Privatem und Öffentlichem entstehen Formen der Partizipation, die vom einfachen Dabeisein bis zur Übernahme leitender Verantwortung reichen können. Gerade die Verantwortungsübernahme und das Handeln in Ernstsituationen, die sich oft spontan ergeben und dementsprechend schwer kontrollierbar sind, ermöglichen Lernprozesse, die andere Lernfelder so nicht bieten können.

Ihre Identität als eigenständiges, vom formalen System abgrenzbares Lernfeld können sich die Jugendorganisationen nur dann erhalten, wenn sie auf der Freiwilligkeit der Teilnahme und der Verantwortungsübernahme bestehen. Sachzwänge, die sich aus Vorgaben von Zuwendungsgebern oder Kooperationspartnern (z.B. der Schule) ergeben, dürfen nicht zur Aufgabe dieses Grundprinzips führen. Von den interviewten Jugendlichen wurde immer wieder betont, dass die Freiwilligkeit des Lernens im Engagement den wichtigsten Unterschied zum Lernen in der Schule ausmacht. Auch deshalb sollte das Prinzip der Freiwilligkeit auf keinen Fall unterlaufen werden.

Dies wird aber nur gelingen, wenn die Organisationen den Jugendlichen Gestaltungsspielräume eröffnen: Dort wo sie die Jugendlichen dabei unterstützen, ihre Interessen einzubringen und umzusetzen sowie Inhalte mitzugestalten und mitzubestimmen, wird dies zu einer Erhöhung der Motivation sowie der Bereitschaft zu längerfristiger Verantwortungsübernahme führen. Dies bedeutet auch, das Feld des Engagements nicht übermäßig zu pädagogisieren.

Auch wenn die Diffusität der Organisationen, die sich nach Sturzenhecker aus ihren zentralen Strukturmerkmalen Freiwilligkeit, Offenheit und Diskursivität ergibt, der Wissenschaft, aber vor allem auch den Zuwendungsgebern, Kopfschmerzen bereiten mag, darf diese »pädagogisch organisierte Anarchie« (Sturzenhecker) nicht zugunsten formalisierter Bildungsangebote aufgegeben werden.

2. Bedürfnis nach Geselligkeit und Gemeinschaft berücksichtigen
Um Jugendliche längerfristig an die Organisationen zu binden, scheint es wichtig, ihrem Wunsch nach Geselligkeit und Gemeinschaft mit Gleichaltrigen nachzukommen, also Gruppenarbeit und soziale Einbindung zu fördern sowie Gelegenheiten zum informellen Austausch zu schaffen.
Freiwilliges Engagement ist in der Regel Teamarbeit. Das Handeln und Lernen in der Gleichaltrigengruppe erhöht die Lernmotivation. Auch von daher erscheint es wichtig, Teamarbeit und gemeinsames Lernen in der Peergroup zu ermöglichen und zu unterstützen.

Die Studie zeigt, dass in der Jugendzeit Engagierte auch im Erwachsenenalter einen größeren Freundes- und Bekanntenkreis haben als Nicht-Engagierte; ein wichtiger Hinweis auf die soziale Integrationsfunktion der Organisationen. Weiter gefördert werden können diese Geselligkeitsaspekte, indem zum Beispiel die non-formalen Bildungsangebote der Organisationen so gestaltet werden, dass – wie es teilweise bereits geschieht – Bildungsaspekte mit Freizeitaspekten verknüpft werden. Angebote, die sich an Gruppen und Cliquen wenden, scheinen den besonderen Bedürfnissen der Jugendphase eher zu entsprechen, als Angebote für einzelne Jugendliche. Im Sinne der Offenheit der Organisationen und der Rekrutierung neuer Mitarbeiter könnten hier auch Personen aus dem persönlichen Umfeld der jungen Engagierten in die Bildungsaktivitäten einbezogen werden.

3. Frühe Gelegenheiten und Räume für aktivierende, partizipative Erfahrungen mit Verantwortungsübernahme schaffen
In keinem anderen gesellschaftlichen Feld werden Jugendliche so früh in die gesellschaftliche Verantwortung einbezogen wie in der Jugendarbeit. Sie übernehmen häufig schon im Alter von 13 – 14 Jahren erste Verantwortung, zum Beispiel in der Leitung von Kindergruppen, und können mitbestimmen und ihre Interessen vertreten.

Diese frühe Verantwortungsübernahme ist von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. So engagiert sich über die Hälfte der in ihrer Jugend freiwillig Tätigen auch noch im Erwachsenenalter (54 Prozent). Nur etwa 15 Prozent der früher Nicht-Engagierten haben nach dem 22. Lebensjahr ein Engagement aufgenommen. Dies sind deutlich weniger als der im Freiwilligensurvey 2004 ermittelte Bundesdurchschnitt, nach dem sich 36 Prozent der Gesamtbevölkerung engagieren.

Auch das politische und gesellschaftliche Interesse ist bei den früher Engagierten deutlich höher als bei den Nicht-Engagierten. So sagen 52 Prozent der ehemals Engagierten, und nur 37 Prozent der Nicht-Engagierten, dass sie sich »stark« für Politik und öffentliches Leben interessieren.

Wenn es den Jugendorganisationen durch gemeinsame Diskussionen und insbesondere durch die Mitarbeit in der Interessenvertretung, in Gremien und Ausschüssen sowie durch Möglichkeiten demokratischer Beteiligung und Mitbestimmung im Alltag gelingt, Jugendliche einzubeziehen, kann dies ein Weg sein, ihr erwachendes politisches Interesse angesichts der faktisch geringen Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungen nicht in Politikverdrossenheit umschlagen zu lassen.

Demokratie verlangt aber nicht nur ein entsprechendes Bewusstsein sondern auch Kenntnisse. Wo sonst können Jugendliche in Ernstsituationen lernen, wie man Sitzungen und Wahlen oder auch Demonstrationen und Veranstaltungen vorbereitet und durchführt, Pressetexte schreibt oder Reden vor größeren Gruppen hält?

Wie die Ergebnisse aus einer zentralen Frage der quantitativen Erhebung zeigen (siehe Abb. 1), verfügen die befragten Engagierten in allen Feldern über mehr Kompetenzen als die Nicht-Engagierten. Dies gilt insbesondere für Tätigkeiten aus dem Bereichen Gremienarbeit, Leitung und Organisation. So ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere Personen, die dem Typ »Funktionär« oder »Organisator« zugeordnet wurden, stark von ihrem Engagement profitieren.



Von daher scheint es auch unter Bildungsaspekten sinnvoll, Jugendliche zu ermutigen und zu befähigen, Aufgaben in Gremien, Ämtern, Ausschüssen und der Interessenvertretung zu übernehmen. Dabei ist, den Befunden der qualitativen Studie zufolge, die Mitarbeit in Ausschüssen und Gremien häufig ein schwieriger langwieriger Prozess, der erleichtert wird, wenn erfahrene Ansprechpartner sich um Neueinsteiger kümmern, sie einführen und in ihren Aufgaben begleiten und unterstützen.

Spezielle Fortbildungsangebote für die Arbeit in Gremien gibt es selten. Hier erscheint die Entwicklung solcher Angebote insbesondere für neue und jüngere Mitarbeiter wichtig, um ihnen die Kenntnis und Nutzung der politischen und verbandlichen Strukturen und Verfahrensweisen zu erleichtern, aber auch, um neue Mitarbeiter für diese wichtigen Ämter und Funktionen zu gewinnen und der weit verbreiteten Gremienabstinenz Jugendlicher entgegenzuwirken.

4. Zugänge für Jugendliche aus bildungs-fernen Familien verbessern
Wie viele Studien zeigen, engagieren sich überwiegend sozial gut integrierte Jugendliche mit höherer Schulbildung. Diese Jugendlichen nutzen damit die Chance, durch die vielfältigen Lernprozesse und sozialen Beziehungen im Engagement ihr schon im Elternhaus angelegtes soziales und kulturelles Kapital, ganz im Sinne des Matthäus-Effektes (»Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, das er die Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat.« Matthäus 15, 12), zusätzlich zu erweitern.

Hier müsste über Wege nachgedacht werden, auch bildungsfernen und bisher kaum erreichten Jugendlichen den Zugang zu einem Engagement und damit zu den darin enthaltenen Lernpotenzialen, Erlebnis- und Kontaktmöglichkeiten zu erleichtern.

Da der Einstieg zumeist über Familie, Freunde und Bekannte erfolgt und somit Menschen, die keine persönlichen Beziehungen zu den Organisationen haben, eher ausgeschlossen sind, wäre es wichtig, Kontakte herzustellen sowie über erweiterte bzw. neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit und der Information über Möglichkeiten, Inhalte und Kontexte eines Engagements nachzudenken.

Beispielsweise könnten sich die Organisationen in Schulen vorstellen und hier über ihre Arbeit sowie die Tätigkeiten, Aufgaben und Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen eines Engagements informieren. Eventuell könnten auch Sozialpraktika im schulischen Rahmen als Ermöglichungsraum für ein (weitergehendes) Engagement dienen – etwa in der Art des »Service Learning«-Konzepts, in dem es um eine Verbindung schulischen Lernens mit Engagement im Gemeinwesen geht.
Zugleich muss berücksichtigt werden, dass nicht alle Organisationen des Engagements für alle Jugendlichen gleichermaßen interessant und förderlich sein können. Wenn – wie die standardisierte Erhebung belegt – sich Hauptschüler stärker in den Hilfs- und Rettungsorganisationen betätigen, dann geschieht dies vor allem, weil ihnen die hier gebotenen Arbeitsinhalte und Lernchancen der praktischen Hilfe häufig näher liegen als intensive Diskussionen über abstrakte Themen, wie sie etwa aus weltanschaulichen Organisationen geschildert werden. Vielleicht kann über zielgruppenspezifische Angebote eine niedrigschwellige Zugangsmöglichkeit für Heranwachsende geschaffen und ihr Interesse an den Aktivitäten der Organisation geweckt werden.

Bei den Bemühungen um neue Gruppen Engagierter, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Hauptschüler, ist aber auch darauf zu achten, nicht die bestehenden Gruppen der Engagierten mit höherer Schulbildung zu verdrängen. Auch diese haben ein Recht auf Angebote, die ihren Interessen und Fähigkeiten entsprechen.

5. Rolle der (hauptberuflichen und freiwilligen) Erwachsenen klären
In den meisten untersuchten Organisationen finden sich hauptberufliche oder freiwillige erwachsene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort in der Regel wichtige Funktionen haben, aber auch Prozesse verhindern können.
Wenn Jugendliche durch Verantwortungsübernahme lernen sollen, muss ihnen auch Gelegenheiten dazu gegeben werden. Wie die qualitative Untersuchung zeigt, erhöhen Zutrauen in ihr Können, Ermutigung zur Verantwortungsübernahme und Anerkennung ihrer Bemühungen die Engagementbereitschaft Jugendlicher, ihre Freude an der Tätigkeit und damit auch die Lernchancen. Erwachsene Mitarbeiter in den Organisationen stehen hier in der besonderen Verantwortung, Jugendliche bei den übernommenen Aufgaben als Förderer oder Mentoren zu begleiten und darauf zu achten, dass diese sich nicht überfordern. Wo noch nicht gängige Praxis, sollten Möglichkeiten zur Diskussion und Reflexion der Arbeit geschaffen werden, um die Jugendlichen nicht mit ihren Aufgaben und Problemen allein zu lassen, wie es von manchen Befragten (oft als »Sprung ins kalte Wasser«) beschrieben wird. Zudem wollen Jugendliche für ihre Leistungen im Engagement Anerkennung erfahren. Ob diese in ideeller oder materieller Form erfolgt, erscheint dabei, den Aussagen der Engagierten zufolge, eher sekundär.

Hauptberufliche tragen eine besondere Verantwortung für den Fortbestand ihrer Organisationen und verkörpern deren Wertvorstellungen nicht selten durch die eigene Person. Sie fungieren zum Teil als Anleiter mit Weisungsbefugnis, als Ansprechpartner in Problemlagen, aber gleichzeitig auch als Erbringer von Serviceleistungen für Engagierte und Mitglieder. Daraus ergeben sich Widersprüche, die nicht immer aufzulösen sind. Die Organisationen können ihre Hauptberuflichen aber dabei unterstützen, mit ambivalenten Situationen umzugehen, etwa durch Angebote des kollegialen Austausches, Fortbildungen oder Supervisionen.

6. Einheitliche Kompetenznachweise entwickeln
Jugendlichen, die dies wünschen, sollten Tätigkeitsnachweise ihres freiwilligen Engagements ausgestellt werden, die in Bewerbungsverfahren eingebracht werden können. Hierbei ist auf die Wahrung der Qualität von Nachweisen und Zertifikaten zu achten, da sie ansonsten an Wert verlieren.
Gespräche mit der Wirtschaft zu den Inhalten und Lernpotenzialen des freiwilligen Engagements könnten eventuell dazu beitragen, den Nutzen von Nachweisen zu erhöhen. Gleichzeitig erscheint es sinnvoll, aus der Vielzahl von bereits existierenden Vorlagen für Tätigkeitsnachweise einen einheitlichen Vordruck zu entwickeln. Dieser dürfte die Akzeptanz auf Seiten der Unternehmen erhöhen und für Organisationen und Jugendliche das Verfahren erleichtern.

7. Netzwerke pflegen und die Außendarstellung optimieren
Die Organisationen sollten sich nicht nur mit sich selbst und ihren internen Aufgaben und Problemen befassen, sondern sich zum Gemeinwesen öffnen und als Akteure in sozialräumlichen Netzstrukturen wirken. Der Kontakt zu anderen Organisationen, zur Politik, zu Bildungseinrichtungen oder auch zur Wirtschaft ist für Jugendliche insofern von Interesse, als dass auch er Lernchancen birgt und dazu dienen kann, soziales Kapital, vor allem Kontakte, zu generieren. Die Chance, im öffentlichen Raum zu agieren und wirksam zu werden, erhalten Jugendliche in anderen gesellschaftlichen Feldern kaum. Dies bedeutet für die Organisationen auch eine besondere Verantwortung, Jugendliche dabei zu unterstützen, diese Chancen der Partizipation zu erkennen und wahrzunehmen.

Die Außendarstellung der Jugendverbandsarbeit und damit ihre Profilierung erscheinen an vielen Stellen verbesserungswürdig. Die jetzt auch empirisch nachgewiesene Qualität und Vielfalt der Lern- und Bildungsprozesse in diesem Feld sind bisher nur unzureichend nach außen kommuniziert worden.

Wenn es den Organisationen gelingt, ihre Lernpotenziale und mögliche Kompetenzgewinne durch das Engagement nach außen sichtbar zu machen und nach innen zu fördern, könnte dies zu einer gesteigerten öffentlichen Anerkennung führen. Dies dürfte auch Rückwirkungen auf der organisationsinternen Ebene haben.

II. Empfehlungen für die Politik

1. Strukturen erhalten und unterstützen
Ohne die Bereitschaft von Menschen, freiwillig und unbezahlt verantwortungsvolle Aufgaben in gemeinnützigen Organisationen zu übernehmen, könnten viele gesellschaftlich wichtige Anliegen und Aufgaben nicht bewältigt werden. Gemeinwohlorientierte Organisationen, Vereine und Verbände, Kirchen und Initiativen als zivilgesellschaftliche Akteure sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf das aktive Engagement der Bürger, aber auch auf politische Unterstützung angewiesen.

Hier muss von der Politik anerkannt und beachtet werden, dass es sich bei den Freiwilligenorganisationen um komplexe Gebilde mit besonderen strukturellen Merkmalen handelt. Die oben angesprochene Diffusität, die sich aus diesen strukturellen Charakteristika ergibt und eine Besonderheit des Lernortes Engagement ausmacht, kann zu Verunsicherungen in den Organisationen selbst, aber auch bei Kooperationspartnern und der Politik führen. Wir wissen, dass sie auch – besonders in der Jugendarbeit – zu Hochs und Tiefs führen kann. Die Kontinuität, die notwenig ist, um Strukturen auch in schwierigen Zeiten zu erhalten, kann eigentlich nur von Hauptberuflichen gewährt werden.

Um freiwilliges Engagement in den Organisationen auch weiterhin in großem Ausmaß zu ermöglichen, sollte die aktuelle Förderpraxis überdacht und die Organisationen wieder verstärkt beim Erhalt und Ausbau ihrer Strukturen unterstützt werden. Dies gilt für die Förderung hauptberuflicher Tätigkeit ebenso, wie für die Förderung infrastruktureller Investitionen oder Bildungsmaßnahmen und die öffentliche Anerkennung und Förderung freiwilliger Tätigkeit.

2. Förderung freiwilliger Tätigkeit
In der Öffentlichkeit, besonders in der medialen Berichterstattung, wird, wenn es um freiwilliges Engagement geht, in erster Linie der Aspekt des Helfens, des Einsatzes für Gesellschaft und Einzelne thematisiert. Sicher handeln auch in der Kinder- und Jugendarbeit die Engagierten in der Regel nicht überwiegend aus Eigeninteresse, sondern helfen Kinder und Jugendlichen, erfüllen Aufgaben im Gemeinwesen und tragen zur Gestaltung der Sozialräume bei.

Genauso wichtig für die Jugendarbeit sind aber zwei weitere Aspekte, nämlich der der Interessenvertretung und Partizipation sowie der Bildungsaspekt. Engagement ist ein Lernfeld, auf dem Jugendliche demokratische Verfahrensweisen kennenlernen und einüben sowie politische Kompetenzen entwickeln und in der konkreten Praxis anwenden können. So konnte in der Studie gezeigt werden, dass ehemals Engagierte sich in allen Feldern politisch-gesellschaftlicher Partizipation stärker beteiligen als früher Nicht-Engagierte. Dies gilt sogar für niedrigschwellige Formen, wie z.B. der Beteiligung an Unterschriftenaktionen, insbesondere aber für die Mitarbeit in Parteien und Bürgerinitiativen oder die Übernahme politischer Ämter. Interessant ist, dass dieser Effekt auch dann erhalten bleibt, wenn man Engagierte aus dezidiert politischen Organisationen aus der Berechnung ausklammert (siehe Abb. 2).



Es ist wichtig, diese Seite des Engagements ins Blickfeld zu rücken sowie zu unterstützen – und damit das darin liegende Lern- und Bildungspotenzial für eine demokratische Bürgergesellschaft wie auch den Gewinn für den Einzelnen aufzuzeigen.

Die Förderung und Anerkennung der Arbeit engagierter Jugendlicher durch die Politik zeigt sich nach Meinung der Befragten in erster Linie darin, dass Mittel zur Umsetzung von Ideen und zum Erhalt der Unterstützungsstrukturen bereitgestellt werden. Formen individueller Anerkennung wie Ehrungen, Einladungen etc. werden von Jugendlichen nicht abgelehnt, haben für sie aber keine ausschlaggebende Bedeutung.
Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch, politische Entscheidungen und Verwaltungsvorgänge transparenter zu machen. Undurchschaubare Entscheidungsstrukturen und nicht nachvollziehbare Begründungszusammenhänge, insbesondere wenn sie mit Mittelkürzungen verbunden sind, führen – wie die qualitative Untersuchung zeigt – insbesondere bei Jugendlichen zum Gefühl unzureichender Anerkennung und der Missachtung des Geleisteten.

Häufig haben auch Querschnittsentscheidungen, z.B. aus dem Steuerrecht oder dem EU-Recht, die auf den ersten Blick nichts mit Freiwilligenarbeit zu tun haben, Nebenfolgen, die den Betroffenen das Leben schwer machen. Hier kann man nur dahingehend appellieren, dass bei solchen Entscheidungen die Belange der Engagierten stärkere Berücksichtigung finden.

3. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz freiwilligen Engagements erkennen
Wie in der Studie gezeigt werden konnte, hat das freiwillige Engagement nicht nur Einfluss auf die Bereitschaft zur gesellschaftlichen Partizipation sondern auch auf die Berufswahl, den Berufseinstieg und die beruflich verwertbaren Kompetenzen. Die Befunde der standardisierten Erhebung belegen, dass in ihrer Jugend engagierte Personen in größerem Ausmaß (25 Prozent) Berufe im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen ergreifen als Nicht-Engagierte (15 Prozent). Damit wird deutlich, dass das freiwillige Engagement im Jugendalter ein wichtiges Rekrutierungsfeld für Berufe im Bereich der personenbezogenen sozialen Dienstleistungen ist. Für die Professionen des Sozial-, des Bildungs- aber auch des Gesundheitsbereichs ist das freiwillige Engagement Jugendlicher ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Nachwuchsgewinnung. Um dem steigenden Arbeitskräftebedarf in diesen Bereichen gerecht werden zu können, erscheinen deshalb gesellschaftliche Investitionen zum Erhalt und zur Ausweitung dieser Lernfelder erforderlich.

Außerdem werden im Engagement persönliche und soziale Eigenschaften und Fähigkeiten gefördert, wie sie mittlerweile in allen Berufsfeldern verlangt werden.

4. Den Lernort »Freiwilliges Engagement« in die Bildungsdebatte einbeziehen
Davon ausgehend, dass das formale Bildungssystem den zukünftigen Anforderungen an Bildung und Kompetenz des Einzelnen in einer globalisierten Gesellschaft nicht umfassend zu genügen scheint und ein zunehmender gesellschaftlicher Bedarf an den Potenzialen informeller Bildung entsteht, ist auch in den politischen Gremien und in der Öffentlichkeit die Debatte um Lernfelder jenseits des formalen Bildungssystems verstärkt zu führen.

Erkennt man an, dass es sich beim freiwilligen Engagement um einen eigenständigen Bildungsbereich mit unterschiedlichen Lernkontexten handelt, muss man ihm auch zeitliche Ressourcen zubilligen. Insbesondere in der Diskussion um Veränderungen in der Schule und den damit einhergehenden zeitlichen Verdichtungen werden die damit verbundenen Nebenwirkungen auf Freizeit und Engagement scheinbar kaum beachtet. Die Ausweitung der Schulzeiten in den Nachmittagsbereich und die Verdichtung des Unterrichtsstoffes dürften den Freiraum für ein freiwilliges Engagement deutlich schmälern oder ein solches sogar verhindern.
Etwa 80 Prozent der Befragten sind im Alter unter 16 Jahren erstmalig in ein Engagement eingestiegen. Es könnte gesellschaftlich brisante Folgen haben, wenn Jugendliche aufgrund von Überlastung durch die Schule in diesem Alter kein Engagement aufnehmen. Sie werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsene nicht engagieren.
Deshalb wäre es wünschenswert, dass die Politik auch in den Debatten um Bildung und Schule und bei entsprechenden Entscheidungen die Interessen der jungen Engagierten berücksichtigt.

Fast 70 Prozent der Befragten sagen, dass in »hohem« oder sogar »sehr hohem« Umfang für sie wichtige Fähigkeiten im Engagement erworben haben. Eine öffentliche Sichtbarmachung der Möglichkeiten, durch bürgerschaftliches Engagement außerhalb des formalen Bildungssystems wichtige persönlichkeits- und berufsrelevante Kompetenzen zu erwerben, könnte evtl. auch einer Attraktivitätssteigerung der freiwilligen Mitarbeit in Vereinen und Verbänden dienen und dazu beitragen, die – laut Freiwilligensurvey – große Zahl der an einem Engagement interessierten Jugendlichen (ca. 40%) anzusprechen und für ein Engagement zu motivieren. Dementsprechend darf der öffentliche Diskurs über Lernen nicht nur auf das formale Bildungssystem beschränkt werden, sondern sollte im Blick auf die Aneignung zentraler Kompetenzen ein möglichst weites Spektrum an Lernformen, -orten und -modalitäten integrieren und aufeinander beziehen, um so das Zusammenspiel der verschiedenen Lernorte und Lernformen zu fördern. Hierzu scheint es nützlich, den jugendpolitischen, den bildungspolitischen sowie den engagementpolitischen Diskurs zusammen zu führen.


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* Der Text beruht auf einem Vortrag anlässlich des Jahresempfangs des Landesjugendring Hamburg e.V. am 12.05.2009.


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Die Studie
Im Rahmen einer allgemeinen Bevölkerungsumfrage (Telefonbefragung) wurden 1.500 ehemals ehrenamtlich engagierte Erwachsene zwischen 25 und 40 Jahren zu Umfang, Inhalt und Qualität ihrer Kompetenzen sowie zu den Orten des Kompetenzerwerbs befragt. Als Kontrollgruppe dienten rund 550 Erwachsene im gleichen Alter, die in ihrer Jugend nicht ehrenamtlich engagiert waren. Im Rahmen einer qualitativen Erhebung wurden zudem 74 engagierte Jugendliche im Alter von 15 bis 22 Jahren sowie 13 ehemals engagierte Erwachsene im persönlichen Gespräch zu ihren Lernerfahrungen in Jugendverbänden, Initiativen und Schülervertretungen interviewt.

Wiebken Düx, Gerald Prein, Erich Sass, Claus J. Tully: Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement – Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008