Von Axel Pohl, Institut für regionale Innovation und Sozialforschung
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in den letzten Jahren zu einem der jugendpolitischen Schwerpunktthemen geworden. Doch was heißt Partizipation? Wer partizipiert woran und wobei? Macht Partizipation einen Unterschied in Bezug auf soziale Integration? Wo ermöglicht Partizipation Teilhabe, wo ist sie legitimatorisches Feigenblatt dafür, dass die meisten Kinder und Jugendlichen von den sie betreffenden Entscheidungen ausgeschlossen sind?
Partizipation kann sowohl Teilnahme als auch Teilhabe bedeuten, hat also aktive und passive, formale und substanzielle Bedeutung. Das unbeteiligte, willkürliche Ankreuzen eines Stimmzettels ist genauso gemeint wie das Engagement für eine Bürgerinitiative. Ein Unterscheidungsmerkmal ist auch, ob Kinder und Jugendliche in Projekten Partizipation (für später) lernen sollen oder ob ihre Beteiligung (von Beginn an) grundlegendes Prinzip von Jugendhilfe, Jugendarbeit und Jugendpolitik ist. Partizipation ist Kern des Demokratieprinzips und bezieht sich auf alle Entscheidungen, die das Leben eines Gesellschaftsmitgliedes oder sein Gemeinwesen betreffen.
Lückenfüller? Die verstärkte Thematisierung von Partizipation weist darauf hin, dass Partizipation nicht (mehr) selbstverständlich stattfindet, besonders unter jungen Frauen und Männern. Die Entwicklung moderner Gesellschaften hat offensichtlich ein solches Niveau an Differenzierung und Komplexität erreicht, dass die Einzelnen nicht mehr subjektive Interessen und Bedürfnisse bzw. individuelle Lebensentscheidungen mit gesellschaftlichen Strukturen in einen sinnvollen Zusammenhang bringen können. Angesichts der Pluralisierung von Lebensläufen und zunehmenden Risiken von Arbeitslosigkeit und Armut ist die Bindung der jungen Generation an Staat und Gesellschaft längst nicht mehr selbstverständlich. Sinkende Wahlbeteiligung, Zulauf zu nicht-demokratischen Parteien sowie Anzeichen der Entfremdung zwischen Jugendlichen und gesellschaftlichen Institutionen (z.B. Schulen) vermitteln den Eindruck, dass zunehmende Teile ›der Jugend‹ der Gesellschaft entgleiten.
Dem wollen Partizipationsprogramme entgegenwirken: kaum eine Kommune ohne Jugendgemeinderat oder Jugendforum, Kampagnen und Aktionsprogramme auf Landes- und Bundesebene. Die Frage ist allerdings zum einen, mit welchem Erfolg, und zum anderen: Meinen sie es ernst? Wie interpretieren sie Partizipation?
Hart oder weich? Der Sozialgeograph Christian Reutlinger bezeichnet vorherrschende sozialräumlich ausgerichtete Partizipationsprogramme als ›Container‹. Häufig sind sie nicht an den Orten angesiedelt, an denen Jungen und Mädchen, junge Frauen und Männer ihr Leben gestalten und bewältigen müssen, und sie setzen nicht an den Themen an, die für diese Bewältigung am wichtigsten sind. Ein zentraler Befund des YOYO-Projektes (s. unten) war, dass sich die Förderung von Partizipation hauptsächlich auf ›weiche‹ Politikbereiche wie die kommunale Jugendpolitik oder die Jugendarbeit begrenzt. Dagegen überwiegen in Schule, Berufsbildung, Berufsvorbereitung oder Qualifizierungsprojekten ›harte‹ Kriterien wie Leistung, Wettbewerb, Beschäftigungsfähigkeit. Individueller Einfluss und Wahlmöglichkeiten, das heißt gleichzeitig aber auch subjektive Identifikation und Motivation, gelten als nachrangig oder werden stillschweigend vorausgesetzt.
Eine zweite Kritiklinie an Partizipationsprogrammen setzt diese in Zusammenhang mit dem Trend zum aktivierenden Staat. Dieser verlangt den Bürger/innen – besonders deutlich am arbeitsmarktpolitischen Motto des Förderns und Forderns – immer mehr Selbstverantwortung ab, während er staatliche Garantieleistungen und solidarische Unterstützungsarrangements einschränkt. Unter Rückgriff auf den französischen Theoretiker Michel Foucault und sein Konzept der »Gouvernementalität« wird Partizipation als Diskurs verstanden, der Selbstverantwortung kulturell positiv normiert, um sie umso leichter einfordern zu können.
(Ver-)Bindungen schaffen. Junge Frauen und Männer sind in ihrer Identitätsarbeit genauso wie in ihren Übergängen ins Erwachsensein Ungewissheiten und Unsicherheiten ausgesetzt, die sie zu weiten Teilen individuell aushalten und bewältigen müssen. Sie müssen immer mehr Entscheidungen treffen, bei denen sie sich nicht an zuverlässigen Vorbildern – weder an den Eltern noch an Gleichaltrigen – orientieren können. Sie müssen diese Entscheidungen auch zunehmend selbst verantworten, unabhängig davon, ob ihnen Wahlmöglichkeiten offen stehen und sie die Mittel haben, Wahlentscheidungen auch umzusetzen.
Die Ungleichheit in Bezug auf Realisierungschancen spiegelt sich auch in Bezug auf Partizipation. An entsprechenden Programmen sind etwa Hauptschüler/innen oder Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich weniger vertreten. Ihre Erfahrung, dass sie in Bezug auf Ausbildung und Lebensplanung eigentlich keine Wahl haben, wirkt sich offensichtlich auch auf ihre Bereitschaft aus, sich an der Gestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen. In individualisierten Gesellschaften, die immer weniger garantieren können, welche ihrer institutionalisierten Lebenslaufbahnen auch ein lebbares und lebenswertes Leben ermöglichen, setzt Partizipation deshalb die Verbindung mit subjektiver Identitätsarbeit voraus. Partizipation muss ›mir etwas bringen‹, hier und jetzt und in Bezug auf die Lebensthemen und -kontexte, die für mich gerade von Belang sind.
Im Folgenden werden aus den Erfahrungen des Netzwerkes »Young Citizens’ Project« abgeleitete Überlegungen vorgestellt, wie kommunale Partizipationsprojekte mit den skizzierten Problemstellungen umgehen können.
Think British? Das »Young Citizens’ Project«. Die Beteiligung von Jugendlichen ist inzwischen einer der Standards der Jugendpolitik in vielen Feldern. Dennoch bleiben viele Beteiligungsprojekte in den Ansätzen stecken, weil sich nur die ohnehin schon engagierten Jugendlichen beteiligen, oder schlafen nach kurzer Zeit wieder ein. Wie dies für den Kontext der Stadtentwicklung geändert werden könnte, untersuchte ein europäisches Städtenetzwerk im Rahmen der EU-Gemeinschaftsinitiative »URBACT«, bei welcher der Autor mit der wissenschaftlichen Begleitung beauftragt war. Ziel des Netzwerks war die Evaluation und Weiterentwicklung bestehender Beteiligungsprozesse durch Jugendliche und Angehörige der beteiligten Stadtverwaltungen. Zentrales Ergebnis des Projekts sind Empfehlungen zu Schlüsselthemen, mit denen sich Projektverantwortliche auseinandersetzen müssen. Entlang dieser Schlüsselthemen werden im Folgenden einige Ergebnisse exemplarisch vorgestellt.
Dass die meisten der hier ausgewählten Praxisbeispiele aus dem britischen Kontext stammen, ist kein Zufall. Zum einen war das Vereinigte Königreich mit vier Städten im URBACT-Netzwerk sehr stark vertreten. Zum anderen hat sich die britische Regierung die »devolution of power«, also die dezentrale Umverteilung der Macht, auf ihre Regierungsprogrammatik geschrieben, in der aktivierende Ansätze, sei es als Stärkung der Bürgerbeteiligung im Gemeinwesen, sei es als »aktivierender Sozialstaat«, eine zentrale Rolle spielen. Gerade die Beispiele aus diesem gesellschaftlichen Kontext zeigen aber auch, wie die politische Vorgabe vor Ort als gesellschaftlicher »Rückenwind« genutzt werden kann, die engen Grenzen üblicher Beteiligungsprojekte zu überschreiten und Jugendliche nicht nur als Feigenblatt zu benutzen.
Auswahl adäquater Beteiligungsansätze. In der Debatte um die angemessene Beteiligung von Jugendlichen an politischen Entscheidungsprozessen gibt es eine Reihe von Systematisierungsversuchen, die Beteiligungsansätze nach dem Grad der Partizipation von Jugendlichen unterscheiden. Am bekanntesten wurde die »Leiter der Partizipation«, die Roger Hart in den 70er Jahren für die UNESCO (s. Info-Kasten S. 9) entwickelte. Darin werden acht Stufen der Partizipation unterschieden, die von Manipulation über Konsultation von Jugendlichen bis von Erwachsenen und Jugendlichen gemeinsam getroffenen Entscheidungen (»shared decision-making«) reichen. Die hinter diesen Ansätzen stehende Bewertung von Beteiligungsprojekten legt den Maßstab an Projekte, dass je mehr Einfluss Jugendliche nehmen können und je mehr der Anstoß für Entwicklungen von ihnen selber kommt, desto besser die Beteiligungsform sei. Das Projekt setzte sich mit diesem Maßstab auseinander und befand die grundlegende Wertung für erstrebenswert: Je mehr Einfluss Jugendliche auf ihre eigenen Angelegenheiten haben, desto besser. Gleichzeitig jedoch war klar, dass auf unterschiedliche Lebenslagen und Bedürfnisse von Jugendlichen nicht mit »Lösungen von der Stange« reagiert werden kann, sondern Verwaltungen, die sich auf Beteiligungsprozesse einlassen, noch zusätzliche Kriterien brauchen, um zu entscheiden, welche Formen von Partizipation in welcher Situation adäquat und realistisch sind. Deshalb erarbeitete das Projekt ein Schema zur Vorplanung von Beteiligungsprozessen, bei dem folgende Fragen entscheidend sind:
• Wie sind die Ausgangspunkte der Beteiligung: Wer entscheidet bisher und wem wird Entscheidungskompetenz genommen? Woran sollen Jugendliche beteiligt werden?
• Welche Gruppen von Jugendlichen sollen sich beteiligen? Was sind deren Bedürfnisse und Interessen?
• Welche Ressourcen stehen zur Verfügung (Personal, Räume, Kompetenzen)?
• Welchen politischen Rückhalt haben Beteiligungsformen?
• Welche Kontextressourcen sind vorhanden in Form von Zugängen zu Jugendlichen?
• Welche Jugendinfrastruktur existiert, auf die Beteiligungsformen aufbauen können, z.B. in Form von professioneller und ehrenamtlicher Jugendarbeit etc.?
Das »Voice-Platform-Action«-Modell. Die Jugendabteilung der Stadtverwaltung Sunderlands im Nordosten Englands hat zur Planung und Bewertung von Beteiligungsprozessen ein einfaches Schema entwickelt, das die genannten Analyseschritte aufeinander bezieht: das »Voice-Platform-Action«-Modell. Ausgangspunkt des Modells ist das in der UN-Konvention zu den Rechten des Kindes festgeschriebene Recht Jugendlicher, dass ihre STIMME (Voice) gehört werden muss. Dazu braucht es eine PLATTFORM (Platform), auf der diese Stimme von denen wahrgenommen wird, die die Entscheidungen treffen. Zuletzt erkennt das Modell an, dass junge Frauen und Männer oft nicht die Macht haben, dass ihre Ideen umgesetzt, d.h. zu ACTION werden.
Dieses simple Modell kann in unterschiedlichen Arbeitsfeldern verwendet werden, um zu überprüfen, wie in Partizipationsprozessen die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Rollen zwischen Jugendlichen, Fachkräften und Entscheidern verteilt werden (siehe Abbildung 1). Die Stadt Liverpool hat dieses Modell bereits genutzt, um mit Jugendlichen gemeinsam die Partizipationsrichtlinien der Youth Services zu überarbeiten. Andere Abteilungen der Stadtverwaltung wurden darauf aufmerksam und sind gerade dabei, die dabei erarbeiteten Prinzipien für die gesamte Bürgerbeteiligungsstrategie der Stadtverwaltung zu übernehmen.
Aktive Anerkennung von Diversität und Pluralität. Jugend als einheitliche Lebenslage gibt es nicht. Viele Beteiligungsansätze und -projekte leiden jedoch unter einem enormen Mittelschichts-»Bias«. D.h., sie stellen unterschwellig so hohe Anforderungen, indem sie ein hohes Maß an Interesse, Zeit und Verständnis voraussetzen, dass sich vor allem Jugendliche mit hohem Bildungsgrad angesprochen fühlen und Jugendliche mit weniger Ressourcen ausgeschlossen bleiben. Betroffen davon sind jedoch nicht nur Jugendliche mit niedrigerer Bildung, sondern häufig sind es auch andere Ausschlusskriterien wie Geschlecht, Mehrheit/ Minderheit oder lokale und Gruppen-Identitäten, die subtil dafür sorgen, dass einige Gruppen sich weniger beteiligen. Es reicht also in der Planung von Beteiligungsprozessen nicht »offen für alle« zu sein, sondern es gilt, Wege zu finden, wie aktiv mit diesen Barrieren umgegangen wird. Dies kann bedeuten, unterschiedliche Zugänge für unterschiedliche Gruppen zu schaffen und zum Beispiel aufsuchende Ansätze zu entwickeln für Jugendliche, die nur schwer von »Komm«-Strukturen angesprochen werden. Ein weiterer Schritt ist die laufende Überprüfung aller geschaffenen Methoden auf mögliche Barrieren.
Das »Drei-Zonen«-Modell. Der District of Easington nutzt für diese Überprüfung und die laufende Fortentwicklung seiner Partizipationsansätze das aus der differentiellen Psychologie bekannte »Modell der drei Zonen«. Die »Panik-Zone« stellt den sozialen Raum dar, in dem junge Frauen und Männer sich unwohl und ängstlich fühlen, weil sie den Rahmen ihrer Alltagserfahrungen komplett verlassen müssen. Die »Komfortzone« bietet dagegen vertraute Handlungs- und Kommunikationsmuster und führt zu Sicherheit und Wohlbefinden. Zwischen diesen beiden liegt die für pädagogisches Handeln in Partizipationsprozessen interessante »Stretch-Zone«. Organisatoren von Beteiligungsprozessen brauchen eine erhöhte Sensibilität und Kenntnis von sozialen und räumlichen Markern, die die Grenzen zwischen diesen Zonen darstellen. Dies können ganz konkret bestimmte Graffiti sein, aber auch Kommunikationsformen, Kleidungsstile und Höflichkeitsnormen. Diese gilt es im Blick zu haben, um die »Stretch-Zone« möglichst weit auszudehnen und Hürden für die Teilnahme nicht einseitig bei den Jugendlichen zu suchen oder sie für soziale Grenzziehungen etwa zwischen »einheimisch« und »eingewandert« verantwortlich zu machen, die sie nicht erfunden haben.
Wessen Motivation ist das Problem? Mit dieser besonderen Sensibilität für die subtilen Barrieren in Beteiligungsprozessen lassen sich auch einseitige Zuschreibungen vermeiden, die das Scheitern von Partizipationsansätzen in der angeblich mangelnden »Motivation« der Jugendlichen suchen. Zentraler Punkt bei der Reflexion, warum und wozu Jugendliche motiviert sind, sich zu beteiligen, ist jedoch die Sinnhaltigkeit von Partizipation aus Sicht der Betroffenen verstehen zu lernen und ernst zu nehmen.
Zentrales Element für die Motivation von Jugendlichen ist also die Relevanz der zu verhandelnden Gegenstände, an denen sie beteiligt werden sollen. Üblicherweise sind diese Gegenstände überdurchschnittlich oft den »weichen« Politikbereichen Jugendarbeit, Gestaltung von Freiflächen u.a. zuzuordnen. Seltener jedoch den »harten« Politikbereichen Bildung und Arbeitsmarkt. Während Schülermitverwaltungen und Schülerparlamente eine große Verbreitung haben, sind sie doch meistens auf den Bereich der Konsultation beschränkt.
Young People’s Inspection Team. Ein Beispiel für eine Einbeziehung von Jugendlichen in strukturverändernde Prozesse ist das »Young People’s Inspection Team« der Jugendabteilung der Stadtverwaltung Sunderland. Hintergrund für die Einrichtung dieses Teams ist die zentrale Stellung von staatlichen Audit- und Inspektionsverfahren im Bildungs- und Sozialbereich. In England ist die Behörde OFSTED damit beauftragt, regelmäßig jede Schule und Jugendeinrichtung zu evaluieren. Sie nimmt damit ähnliche Aufgaben wahr wie die Schulaufsicht in anderen Ländern, beauftragt jedoch unabhängige Experten mit der Inspektion der jeweiligen Einrichtungen anhand von landesweit standardisierten Qualitätskriterien. Der für die für Beteiligungsprozesse im Jugendbereich zuständige Stelle in der Stadtverwaltung Sunderland fiel jedoch auf, dass Jugendliche an diesen Verfahren nur im Rahmen von Nutzer/ innen-Befragungen beteiligt waren, auf den Prozess der Evaluation jedoch so gut wie keinen Einfluss hatten. Deshalb gründeten sie eine Gruppe von Jugendlichen, die Erfahrungen als Besucher/innen und Nutzer/innen offener Jugendarbeit hatten, um auszuloten, inwiefern Jugendliche an diesen für die Jugendarbeit oft recht folgenreichen Inspektionen beteiligt werden konnten. Für die 15-18jährigen Jugendlichen wurde ein Trainingskurs angeboten, bei dem die Frage »Was ist eine gute Jugend(hilfe)einrichtung?« im Mittelpunkt stand. Seither hat die Gruppe über 50 Einrichtungen mit der Qualtitätssicherungsabteilung der Stadtverwaltung besucht. Gleichzeitig wurde die Gruppe zu neun offiziellen OFSTED-Inspektionen eingeladen, die die Jugendlichen gemeinsam mit den offiziellen Inspektoren durchführten. Im Anschluss an jede Inspektion wurde ein gemeinsames Briefing veranstaltet, bei dem die Jugendlichen ihre Meinung in die Diskussion mit den Inspektoren einbringen konnten. Ein Resultat dieser gemeinsamen Sitzungen war die Anpassung der offiziellen Richtlinien der OFSTED-Inspektionen aufgrund der Kritik der Jugendlichen.
Partizipation braucht eine Jugendinfrastruktur. Einen Schritt weiter bei der Einbeziehung Jugendlicher in die Gestaltung und Weiterentwicklung von Jugendinfrastruktur ging die Stadtverwaltung Liverpool mit ihrem »Youth Engagement Team«. Hier wurde dem Mangel an Jugendlichen in den üblichen Partizipationsformen Jugendparlament und Stadtteilvertretungen begegnet, indem zunächst als Pilotprojekt neun Stellen für Jugendliche geschaffen wurden, die zwar Erfahrung als Nutzer /innen der Jugendarbeit hatten, jedoch schon frühzeitig aus dem Bildungs- und Ausbildungssystem ausgestiegen waren. Die 16-19jährigen wurden in einem zweimonatigen Kurs zu »Youth Engagement Workers« ausgebildet. Ausgestattet mit einer voll bezahlten Stelle (11.000 Pfund per annum) organisieren diese Jugendlichen zwei Jahre lang Partizipationsprojekte in ihren Stadtteilen. Ihre Aufgaben umfassen dabei unterschiedliche Bereiche wie die Recherche zu Hintergründen von Konflikten zwischen Anwohner/innen und jugendlichen Cliquen, die Organisation von Workshops in Kooperation mit der Polizei oder anderen Jugendevents sowie die Betreuung von Jugendlichen, die sich in Nachbarschaftsvertretungen engagieren. Mit dem Einsatz der »Youth Engagement Workers« gelang der Zugang zu Gruppen, die mit herkömmlichen Beteiligungsverfahren nur schwer zu erreichen waren. Gleichzeitig wird die Berufserfahrung der Jugendlichen als Teil der Zugangsvoraussetzungen für den Studiengang »Youth and Community Work« an der Liverpool University anerkannt. Nach der erfolgreichen Pilotphase wurde die Finanzierung der Stellen von der Stadtverwaltung Liverpool auf Dauer übernommen.
Glaubwürdigkeit als zentraler Maßstab. Das Liverpooler Beispiel zeigt, dass angesichts veränderter Lebenslagen Jugendlicher und junger Erwachsener neue Wege eingeschlagen werden müssen, wenn die Überlagerung der Lebensphase Jugend durch den Druck der Positionierung auf dem Arbeitsmarkt als Hindernis für die klassischen biographischen Wege zu jugendlichem Engagement ernst genommen werden soll. Ein anderer Aspekt der Veränderung jugendlichen Engagements ist die größere Bereitschaft zu Verantwortungsübernahme von Jugendlichen heute, wie sie zum Beispiel im Rahmen der Debatte um die Absenkung des Wahlalters häufig als Argument vorgebracht wird: Jugendliche sind sehr wohl bereit, sich einzubringen, wenn sie nur einsehen können, was ihr Engagement »bringt«. Ihr hohes kritisches Potenzial macht sie misstrauisch gegenüber Ansätzen, die Jugendliche lediglich als Feigenblatt zur Legitimation benutzen. Sie erkennen sehr wohl Ansätze des »Kidnapping«, wie ein Mitarbeiter der am Netzwerk beteiligten Städte jene Ansätze ironisch nannte, bei denen es den Jugendlichen recht schnell klar wird, welcher Einfluss ihnen tatsächlich eingeräumt wird.
Our Work. Our Place. Our Future. Einen etwas anderen Weg beschritt die Stadtverwaltung Bristol bei der Planung und Durchführung ihres Beitrags zum EU-Stadtentwicklungsprogramm URBAN2. Nachdem Jahrzehnte (und viele Millionen) städtebaulicher Förderung wenig an der schwierigen Lage einiger Stadtteile geändert hatten, entschloss sich der Stadtrat, dass die Fördersumme der URBAN2-Förderperiode 2000-2007 gänzlich Jugendlichen zugute kommen sollte. So kam es, dass unter dem Motto »Our Work. Our Place. Our Future« ausschließlich Projekte zur Förderung zugelassen wurden, die ihren Bezug zum Thema Jugend nachweisen konnten. Doch damit nicht genug. Entgegen allen rechtlichen Bedenken und Einwänden der zuständigen EU-Behörden setzte die Stadtverwaltung durch, dass das Steuerungsgremium, das über die Vergabe der Mittel entschied, zu 50% aus Personen unter 18 Jahren bestand. Die stimmberechtigte Vorsitzende der »URBAN Partnership Group« (UPG) war zu Beginn ihrer Amtszeit 16 Jahre alt. Die UPG hat inzwischen mehrere Hundert Anträge von Bildungsträgern und Stadtteilinitiativen begutachtet und Mittel in der Höhe von 13,5 Mio. Euro vergeben.
Fazit. Aus den Fallstudien dieser Projekte lassen sich eine Reihe von Aspekten von Partizipation ableiten, die notwendig sind, um die Kluft zwischen gesellschaftlicher Teilhabe und individueller Lebensbewältigung zu überwinden: Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, heißt Wahlmöglichkeiten anzubieten und unterschiedliche Zugänge für Jugendliche zu Partizipation zu eröffnen, die der Vielfalt jugendlicher Lebenswelten entsprechen. Partizipation weckt dann das Interesse auch so genannter »benachteiligter« Jugendlicher, wenn sie an den sozialen Orten und den Themen der Lebensbewältigung von Jugendlichen ansetzt. Dies bedeutet aber auch, dass sie von Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Maßnahmen und Projekten gerade in den Kernbereichen Schule – Ausbildung – Beruf abhängt: Wenn Partizipation als Nischenprojekt daherkommt, wird sie von Jugendlichen auch als solches erlebt.
Partizipationsansprüche ernst zu nehmen, das heißt, auch Lebens- und Berufsansprüche als legitim anzuerkennen und zu unterstützen, die sich aufgrund von Wettbewerb und Selektion nicht so einfach umsetzen lassen und Partizipation gerade in diesen Bereichen zu verstärken. Diese Anerkennung vermittelt sich in vertrauensbasierten Beziehungen zu Praktiker/ innen; an ihnen ist es, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, nicht andersherum.
Es ist offensichtlich, dass diese Aspekte sowohl Praxis als auch Politik, sowohl ›weiche‹ als auch ›harte‹ Bereiche betreffen. Das heißt, eine partizipatorische Praxis setzt Partizipationsrechte voraus und, um Jugendlichen und jungen Erwachsenen Verhandlungsmacht zu erteilen, auch Autonomie im Sinne des Zugangs zu eigenen Ressourcen. Gerade an diesem Punkt wird der Unterschied zwischen Aktivierung und Partizipation sehr deutlich: Die anfängliche Regelung von Hartz IV ermöglichte jungen Erwachsenen die Verselbständigung durch einen eigenständigen Anspruch auf Grundsicherung und Wohngeld, der jedoch sofort wieder eingedämmt wurde. Der europäische Vergleich zeigt allerdings Unterschiede: So werden jungen Frauen und Männer in den Bildungssystemen und Arbeitsmarktprogrammen in nordeuropäischen Ländern wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten zugestanden als etwa in Deutschland.
Eine weitere zentrale Erkenntnis aus dem Projekt ist, dass Partizipationsansätze dann erfolgreich sind, wenn sie an der Vielfalt jugendlicher Lebens- und Engagementsformen ansetzen. Konkret bedeutet dies, dass jene Akteure, die – wie die Jugendverbandsarbeit – vor Ort für Jugendliche Glaubwürdigkeit und überschaubare Strukturen bieten, genau das leisten, woran es Ansätzen »vom grünen Tisch« mangelt: Denn müssen hier Jugendliche nicht erst »aktiviert« werden, sondern sind bereits als Handelnde, Planende und Träger von Entscheidungen vorhanden.
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* Der Text basiert auf einer Publikation des Autors in den
ajs-Informationen, Nr. 2 – 2009, Stuttgart
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Info
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Der Artikel basiert auf einer Reihe von Erfahrungen mit Partizipationsprojekten in unterschiedlichen europäischen Kontexten:
Young Citizens’ Project
Das Netzwerk »Young Citizens’ Project« war Teil des EU-Stadtentwicklungs-programms URBACT. Inhalt war der Austausch verschiedener europäischer Städte über wirksame Maßnahmen der Partizipation Jugendlicher. Das Netzwerk bestand aus den Stadtverwaltungen Belfast, Bristol, Sunderland/Easington, Liverpool (alle UK), Birkirkara (Malta), Evosmos/Thessaloniki (Griechenland), Mazekiai (Litauen), Misterbianco/Catania (Italien) und Sabadell/Barcelona (Spanien).
Das Projekt hat seine Ergebnisse in Form eines gemeinsam erarbeiteten »Toolkits (Werkzeugkastens) zur Beteiligung Jugendlicher« vorgelegt. Das Toolkit enthält Anregungen zur Reflexion und Auswertung von allen Phasen von Partizipationsprozessen und von den Jugendlichen gemeinsam mit den Professionellen ausgewählte Beispiele bewährter Verfahren. Es kann von der Projektwebsite in englischer, griechischer, italienischer und spanischer Sprache heruntergeladen werden.
Mehr Informationen zum Netzwerk unter: http://urbact.eu/en/homepage-2/
Forschungsprojekt YOYO
Das von IRIS e.V. koordinierte europäische Forschungsprojekt »Jugendpolitik und Partizipation« (YOYO) untersuchte die Potenziale von Partizipation und informellem Lernen für die Übergänge junger Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt. Der Schwerpunkt lag auf dem Zusammenhang zwischen Benachteiligung, Partizipation und Motivation.
Mehr Informationen zum Projekt unter: http://www.iris-egris.de/de/jugend/yoyo_-_jugendpolitik_und_partizipation
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Literatur
• Gernert, Wolfgang (1993): Jugendhilfe – Einführung in die sozialpädagogische Praxis, München u. Basel
• Hart, Roger (1997): Children's participation. The theory and
practice of involving young citizens in community development and environmental care. Reprinted. New York
• Pohl, Axel; Stauber, Barbara; Walther, Andreas (2006): Zur Bedeutung informeller und partizipativer Lernprozesse für die Übergänge junger Erwachsener in die Arbeit. In: Tully, Claus (Hg.): Lernen in flexibilisierten Welten. Wie sich das Lernen der Jugend verändert. Weinheim; München, S. 183 – 199
• Pohl, Axel; Stauber, Barbara (2007): 'Auf einmal ist dir das nicht mehr egal …' Motivation und Partizipation in zwei Projekten der Jugendsozialarbeit. In: Stauber, Barbara; Pohl, Axel; Walther, Andreas (Hg.): Subjektorientierte Übergangsforschung. Rekonstruktion und Unterstützung biografischer Übergänge junger Erwachsener. Weinheim, S. 201 – 226
• Reutlinger, Christian (2003): Jugend, Stadt und Raum. Sozialgeographische Grundlagen einer Sozialpädagogik des Jugendalters. Opladen