Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2010, Rubrik Titelthema

Wozu Medienkompetenz?

Vorab ein paar Zahlen. Über 28 Millionen Bundesbürger sind (laut einer aktuellen Forsa-Umfrage) mit persönlichen Inhalten und Profilen im Internet präsent – oder rund 40 Prozent aller Deutschen ab 14 Jahren. Zweifellos erscheint das Netz als ideale Plattform zur Selbstdarstellung. Insbesondere die sogenannten Sozialen Netzwerke wie Facebook, StudiVZ oder Twitter boomen. Mittlerweile seien 60 Prozent aller Surfer hierzulande Mitglied mindestens eines Netzwerkes. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen sollen sich neun von zehn Netzbürgern in diversen Communitys tummeln. Eine Zahl aus den USA unterstreicht diesen Trend. Die Nutzung des Internets verschiebt sich weg von der Suche nach Informationen oder der Abrufe redaktioneller Inhalte hin zum Einloggen in Soziale Dienste. In der zehnten Kalenderwoche 2010 soll Facebook (400 Millionen aktive Nutzer weltweit) erstmals die Suchmaschine Google überholt haben: Das Marktforschungsunternehmen Hitwise vermeldete 7,07 Prozent aller Visits, also der Aufrufe von Internetseiten, für Facebook, während Google im gleichen Wochenzeitraum nur 7,03 Prozent verbuchen konnte.

Zum Megatrend dieses Jahres hat der Insider-Blog »Techcrunch« jedoch das »Geotagging« vorausgesagt. Geotagging ermöglicht es, eine Nachricht oder ein Photo mit einer geographischen Koordinate zu verbinden, die wiederum mit einer digitalen Landkarte verknüpft werden kann. Viele kennen diese Möglichkeit bereits von Google Earth: Eine selbst geknipste Photographie vom Hamburger Michel lässt sich zum Aufruf aller Internet-User an dem digitalen Standort der Kirche einbinden. Eine nette Spielerei, vielfach auch von Nutzen. Erst die Sozialen Netzwerke sollen jedoch dem Geotagging zum allseitigen Durchbruch verhelfen. Die Vision lautet: Alles was Du schreibst, ist online; wo Du bist ebenfalls.

Facebook arbeitet daran, Twitter hat es schon. Darüber »postete« der Amerikaner Patrick Sutton, hier wahllos herausgegriffen, vor ein paar Tagen um 11.30 Uhr: »Bin bei Walmart.« Seine Leser (im Twitter-Jargon: Followers) konnten im eingeblendeten Stadtplan das Kaufhaus lokalisieren, ergänzt um ein Photo von Patrick. Ein blauer Pfeil visualisierte seinen aktuellen Aufenthaltsort.

Pease rob me! Patrick war also um 11.30 Uhr jenes Tages außer Haus. Eine vielleicht interessante Information für seine Followers, die ihn zum Kaffee abfangen wollten. Auch eine kommerziell nutzbare Nachricht für Reklame betreibende Online-Dienste, die Patrick als potentiellen Kunden über gezielte Konsumangebote in seinem momentanen Umfeld informieren möchten (Facebook arbeitet in seinem kommenden Geotagging-Dienst an dieser Möglichkeit). Und erst recht eine Gefahren mindernde Information für Räuber, die sich für das Zuhause von Patrick interessieren. Wie leicht sich persönliche Geotagging-Informationen mit weiteren individuellen Daten zu Person, Haus und Hof verknüpfen lassen, zeigt – ansatzweise zur Demonstration – die Internetseite pleaserobme.com. Deren warnende Massage lautet: Sage mir, wo Du bist, und ich raube Dir unterdessen Deine Wohnung aus. Der Betreiber der Website, die Initiative Forthehack, nutzt dabei frei verfügbare Software-Schnittstellen von Twitter, um persönliche Daten und insbesondere Angaben zum aktuellen Aufenthaltsort der Zielperson zu publizieren. Alles legal, alles frei verfügbar – und eben auch für sehr »spezielle« Interessen abrufbar. Die Initiative Forthehack warnt mit ihrer Website vor einem »over-sharing« der Community-Nutzer – also vor der Gefahr, alles allen zu sagen.

Medienkompetenz? Patrick Sutton ist nicht ausgeraubt worden. Nach seiner im Internet dokumentierten Odyssee an einem Vormittag mag er vielleicht wachsam über seine Geotagging-Daten geworden sein. Jedenfalls wird er, wie viele andere der 50 Millionen Twitter-Nutzer, kaum geahnt haben, welchen unvermuteten Nutzen man aus seinem Geotagging hätte ziehen können.

Und damit stellt sich die Frage nach der Medienkompetenz. Der Gebrauch von sozialen und anderen Service-Angeboten im Netz funktioniert überaus einfach: per Mausklick auf aufleuchtende Buttons. Der Zugang ist intuitiv und selbsterklärend; die Rückseite, der Nutzen anderer an persönlichen Daten, liegt jedoch verborgen (allenfalls finden sich im Kleingedruckten der Geschäftsbedingungen vage Hinweise). An dieser Schnittstelle entscheidet sich die Medienkompetenz der Netzbürger: Was passiert noch, wenn ich mich hier einfach einlogge?

Jürgen Garbers