Sonja Reichmann, Landesjugendring Niedersachsen
Das Internet ist heute nicht mehr aus unserer Lebenswelt wegzudenken. Der digitale Informationsraum dockt an unseren alltäglichen Lebensraum an, verlängert ihn und ergänzt unseren Kulturraum. Unzählige Lebensströme erfahren digitale Erweiterungen, das Netz optimiert berufliche Chancen und vernetzt private Kontakte – dabei sind der Zugang und die Teilhabe in den Industrienationen zunehmend unabhängig von Bildung, Status, Alter und Region. Menschen gestalten mit ihren Inhalten das Medienangebot im Web 2.0, dessen Anwendungsumgebungen werden daher grundsätzlich sozial. Denn der Boom der sozialen Medien ist durch ihren gemeinsamen Gebrauch zustande gekommen.
Die Sinus-Milieustudie »Wie ticken Jugendliche« stellte schon 2008 fest: Jugendliche nutzen das Netz als Verlängerung ihrer Körperlichkeit. Jugendliche wachsen heute ganz selbstverständlich mit dem Internet und seinen Anwendungsumgebungen auf. Sie nutzen die digitale Infrastruktur vor allem, um sich innerhalb ihrer Peergroup auszutauschen. Ob die Verabredung nach der Schule über Schüler-VZ oder AIM stattfindet – auf jeden Fall stehen soziale Netzwerke und digitale Kanäle für die neuen Pausenräume, Schulhöfe und Jugendtreffs, auf denen Kontakt verabredet wird und Austausch stattfindet.
Online-Lebenswelt. Gerade für Heranwachsende bietet der Kulturraum Internet grundlegende Funktionen zur Kommunikation, Organisation, Unterhaltung, Beteiligung und Beschaffung von Informationen. Nach der JIM-Studie 2009 nutzen 98% der 12- bis 19jährigen das Internet mehrmals täglich, über 50% davon in sozialen Netzwerken. Dabei hinterlegen 80% Informationen über ihre Hobbys und Dinge, die sie mögen oder nicht mögen, knapp 70% eigene Fotos und Filme bzw. 50% Fotos und Filme von Freunden und Familie. Über 95% der befragten Jugendlichen haben ein eigenes Handy, die Studie spricht hier von Vollversorgung.
Mit der Relevanz sozialer Interaktion wird die zugrunde liegende Technik immer einfacher und intuitiver in ihrer Bedienbarkeit. Hardware ist kaum noch ein Ausstattungskriterium, Software verlagert sich zentral ins Netz. So stellt das Web 2.0 vielfältige Produktionswerkzeuge zur Verfügung, die direkt abrufbar sind. Die digitalen Endgeräte sind fluider und mobiler: Sie ergänzen uns in unserem Alltag, begleiten Gruppenstunden, potenzieren Projektinhalte und reisen mit zu Veranstaltungen.
Die Jugendarbeit in Niedersachsen stellt vielfältige Umgebungen bereit, in denen ein Austausch unterschiedlicher Personen und Gruppen stattfinden kann. Verbandsübergreifend steht in Niedersachsen zum Beispiel die vom Landesjugendring Niedersachsen betriebene Mitmach-Plattform www.jugendserver-niedersachsen.de für wechselseitige Information und Austausch als Wissensarchiv und Unterstützungspool für Multiplikatoren/innen in der Jugendarbeit zur Verfügung. Mit über 80.000 Besuchern/innen im Monat und der Verknüpfung weiterer Social-Media-Kanäle stellt das Angebot einen attraktiven Mehrwert dar.
Begleitend zu weiteren Onlineaktivitäten setzt der Landesjugendring Niedersachsen einen Schwerpunkt auf Medienkompetenzvermittlung. Mit neXTmedia – Medienkompetenz in der Jugendarbeit ist es gemeinsam mit der niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) seit 2009 gelungen, ein lebensweltorientiertes Angebot zum Medienkompetenzerwerb in der Jugendarbeit zu etablieren. Die Kooperation bietet Qualifizierungsangebote und Austauschebenen, die von haupt- und ehrenamtlich Aktiven in der Jugendarbeit frei genutzt werden können.
Medienpraktische Qualifizierung in der Jugendleiter/innenausbildung. Der Baustein [media-juleica] bringt medienpraktische Tageseinheiten in die Jugendleiter/innenausbildung (Juleica). Ein gemeinsames Teamkonzept mit aktuellem Bezug zum Ausbildungsthema bildet die Basis des Angebotes. Je ein/e Teamer/in der niedersächsischen multimediamobile der NLM und ein/e Juleica-Ausbilder/in erarbeiten in Kleingruppen ein Thema der Jugendleiter/innenausbildung. So kann aus »meine Rolle als Jugendleiter/in« abschließend ein Drehbuch und die Produktion eines Videoclips entstehen, »Rechte & Pflichten auf Freizeiten« können gemeinschaftlich auf einer Wikiseite dokumentiert werden. Die angehenden Jugendleiter/innen lernen neben dem kompetenten medienpraktischen Umgang auch, die unterschiedlichen digitalen Möglichkeitsräume zu begreifen und sie für ihre Themen einsetzbar zu machen.
Medienpraktische und -pädagogische Qualifizierung für landesweite Projekte. Der Baustein [media-projekt] bietet sowohl medienpraktisches Know-how für landesweite Projekte in der Jugendarbeit als auch medienpädagogische Informationen für Multiplikatoren/innen in der Jugendarbeit. Der Schwerpunkt »Medienpraxis für landesweite Projekte« qualifiziert Multiplikatoren/innen zum Beispiel in der Umsetzung eines Flashmops auf einem Landesjugendcamp oder in der Podcastproduktion auf internationalen Jugendbegegnungen. Der Schwerpunkt »Medienpädagogik« hält Angebote der »Aktion sicheres Internet« bereit. Themen im Fokus von Jugendmedienschutz (Handy, Computerspiele, Web 2.0-Angebote) werden in dreistündigen Info-Veranstaltungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet.
Zertifizierung zum mediascout. Im Baustein [media-scout] können sich haupt- und ehrenamtlich Engagierte in der Jugendarbeit an drei Tagen zum mediascout qualifizieren lassen. Angesprochen sind Personen, die das Medienprofil ihres Verbandes gestalten oder weiterentwickeln wollen, die in der Ausbildung von Jugendleitern/innen aktiv sind oder einfach alte Wege verlassen wollen in der Ansprache neuer Zielgruppen. Die entwickelten Themenschwerpunkte Digital Native (im Netz geboren) und Virtualität (Computerspiele in der Jugendarbeit) halten je Platz für 12 Personen vor und stoßen auf eine breite Nachfrage.
Medienpädagogische Community. Als Web 2.0-typische Arbeitsumgebung bietet neXTmedia das Online-Netzwerk myjuleica.de. Die medienpädagogische Community ist speziell auf die Bedürfnisse von Jugendgruppen und Jugendleitern/innen zugeschnitten. Niedersächsische Jugendleiter/innen nutzen die Community für die Öffentlichkeitsarbeit, die Vernetzung und Verwaltung ihrer Gruppen (Online-Vereinsbüro) und bekommen z.B. in der Spieledatenbank und im Juleica-Wiki viele Ideen und Tipps für das ehrenamtliche Engagement. Derzeit sind über 7.000 Jugendleiter/innen aktiv in der Community.
Medienkompetenz ist soziale Kompetenz. Mit den Funktionen des Web 2.0 verändert sich die konsumierende Haltung in eine produzierende Teilhabe am Netz. Zeitgleich werfen die digitalen Möglichkeitsräume Fragen zur Neubewertung gesellschaftlicher Vereinbarungen auf. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, die spezifische Technik setzt jedoch analoge Modalitäten vor einen neuen Bewertungshintergrund. Die Möglichkeit der Vervielfältigung von Daten (Kopie), der Verknüpfung von Daten (Mashup) und der Neugestaltung von Daten (Remix) bestimmen die Diskussion um Urheberrecht, Privatheit und Datenschutz.
Jugendliche müssen an dieser Diskussion beteiligt sein. Die vernetzte und non-lineare Struktur von Informationen in den sozialen Medien verändert auch die Qualität von Bildung und setzt neue Potenziale frei. Die Fähigkeit, Informationen schnell zu bewerten, setzt Musterbildung auf Grundlage geeigneter Filter voraus. Erfahrungsräume in der Jugendarbeit bieten einen basisdemokratischen Ort, diese Fähigkeiten zu befördern.
Jugendarbeit ist eine wichtige Sozialisationsinstanz und trägt zu Entwicklung von Wert- und Sozialkompetenzen bei. Es gilt, den digitalen Lebensraum in das Erlernen von Social-Skills mit einzubeziehen, Modelle zur Vermittlung zu konzipieren und verantwortungsbewusstes Handeln in unserem Lebensraum zu initiieren. Mit den entwickelten Angeboten bietet neXTmedia eine jugendgerechte Aneignung relevanter Themen. neXTmedia qualifiziert jugendweltbezogene Handlungsszenarien und befähigt Jugendliche zur Auseinandersetzung in der gesellschaftlichen Diskussion. Denn Jugendleiter/ innen können medienkompetentes Verhalten in jugendlichen Lebenswelten oft besser vermitteln als viele Lehrer/innen und Eltern.
In der medialen Öffentlichkeit findet organisierte Jugendarbeit bislang kaum Platz. Dabei bieten sich ihr per se unzählige Chancen: Denn Jugendarbeit ist von ihrem Wesen und per Definition dem Netz verwandt. Die Basis der Jugendarbeit ist dezentral organisiert, knotenartig vernetzt, basiert auf Partizipation und Netzwerkstrukturen, Mitbestimmung und Teilhabe. Basisdemokratische Strukturen entscheiden über Inhalte und Werte innerhalb der Gruppen. Es gilt, die flachen Organisationsstrukturen digital zu verlängern, neXTmedia setzt genau auf diese Kernkompetenzen und fördert mit Qualifizierungsangeboten für ehren- und hauptamtliche Multiplikatoren/innen ihr Potenzial im Netz.
Hintergrund. Die Kooperation neXTmedia – Medienkompetenz in der Jugendarbeit – ist 2009 von den Partnern initiiert und exemplarisch mit ausgewählten niedersächsischen Jugendverbänden entwickelt und erprobt worden (Pilotphasen-Wiki: ljr.de/nextmedia/doku.php). In 2010 sind die Angebote für alle anerkannten Träger der Jugendarbeit kostenlos buchbar, Buchungsanfragen können online auf neXTmedia.ljr.de gemacht werden. Die Kooperation wird jährlich fortgeschrieben Ziel ist es, die Angebote nachhaltig an der Basis der Jugendarbeit zu verankern.
Info
neXTmedia – Medienkompetenz in der Jugendarbeit
Träger: Kooperation zwischen dem Landesjugendring Niedersachsen und der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM)
Laufzeit: seit 2009
Kontakt: Landesjugendring Niedersachsen Sonja Reichmann | Zeißstr. 13 |
30519 Hannover | Tel.: (0511) 51 94 51 – 0 | neXTmedia@ | ljr.dehttp://neXTmedia.ljr.de
Niedersächsische Landesmedienanstalt Lorenz Preuss | Seelhorststraße 18 | 30175 Hannover | Tel.: (0511) 284 77 – 0 | www.nlm.de