Von Gaby Meyer, Landesjugendring Brandenburg
Der erste September um halb elf Uhr morgens. 70 Jugendliche treffen sich im Haus der Natur in Potsdam. Es ist der erste Tag ihres Freiwilligen Ökologischen oder Sozialen Jahres (FÖJ / FSJ) beim Trägerwerk des Landesjugendrings Brandenburg.
Wochen der Entscheidungen liegen hinter den Jugendlichen: Was mache ich nach meinem Schulabschluss? Ausbildung, Studium oder will ich mich doch gesellschaftlich engagieren? Welche Interessen verfolge ich weiter, was möchte ich beruflich machen? Durch Freunde, das Internet oder durch Zufall sind die Jugendlichen beim FÖJ oder FSJ des Trägerwerks gelandet. Sie haben die Einsatzstellenlisten durchgelesen, wissen was sie in den einzelnen Bereichen erwartet; sie waren zu einem Informations- und Bewerbungsgespräch in Potsdam und haben sich die Einsatzstellen vor Ort angeschaut. Nun haben sie sich entschieden: Ein Jahr lang werden die 70 jungen Menschen in einer von 63 Einsatzstellen verbringen und ihre Arbeitskraft in den Dienst der Gesellschaft stellen.
Katharina Müller hat das Jahr schon hinter sich. Bei ihr war die Arbeit in einem Jugendclub genau das Richtige: »Ich bekam meine Wunscheinsatzstelle und war von nun an ein Freiwilliger. Vor allem dank der Unterstützung und Betreuung des Landesjugendringes wurde dies ein sehr aufregendes, erfolgreiches Jahr für mich, in dem ich sehr viel über mich selber, aber auch im Bereich der Kinder- und Jugendbetreuung, der Organisation von Veranstaltungen und im allgemeinen Umgang mit Menschen dazulernte.«
Das Trägerwerk des Landesjugendrings. Seit 17 Jahren führt das Trägerwerk erfolgreich das Freiwillige Ökologische Jahr mit 40 Plätzen durch, seit sechs Jahren das Freiwillige Soziale Jahr mit 28 Plätzen. Das Trägerwerk ist eng mit dem Landesjugendring Brandenburg verknüpft. Denn der Landesjugendring legt Wert auf die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Auch beim Trägerwerk sind für die Teilnehmer/ innen im FSJ und FÖJ viele Möglichkeiten eröffnet worden, sich jugendpolitisch zu engagieren.
Während des Jahres erhalten die Jugendlichen ein monatliches Taschengeld von 150 Euro, freie Unterkunft und Verpflegung bzw. einen entsprechenden finanziellen Ausgleich (50 bis 102 Euro). Sozialversicherungsbeiträge werden wie bei einem normalen Arbeitnehmer übernommen und bezahlt. Es besteht Anspruch auf 26 Tage Urlaub.
Gefördert wird das FÖJ durch das Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Brandenburgs sowie durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das FSJ erhält ebenfalls Gelder aus dem Europäischen Sozialfond. Die Einsatzstellen zahlen jeden Monat für ihren Jugendlichen zwischen 85 bis 175 € an das Trägerwerk.
Einsatzstellenvielfalt. Die Jugendlichen arbeiten 40 Stunden pro Woche im ökologischen Bereich des Nationalparks Unteres Odertal, im Forschungsinstitut für Bergbaufolgelandschaften, auf Ökohöfen, in Tierparks oder in Baumschulen. Besonders viele Einsatzstellen sind bei Jugendverbänden zu finden. Diese können ein Jahr lang einen jungen Menschen zur Unterstützung in ihr Verbandsleben integrieren.
Aus Sicht der Jugendverbände sind die Jugendlichen ein wichtiger Bestandteil der Verbandsarbeit, bestätigt Carina Maaß, Jugendbildungsreferentin bei der BUNDjugend Brandenburg: »Ihre Fähigkeiten und Ideen fließen in unsere Aktivitäten, in Bildungs- und Mitmachangebote ein und prägen diese. Als junge Mitarbeiter können sie ein Bindeglied zwischen jungen Ehrenamtlichen und hauptamtlich Aktiven sein. Bei uns lernen sie ganz konkret, wie beispielsweise eine Umweltbildungsveranstaltung geplant, organisiert und umgesetzt wird. Sie sind nah dran an den realen Abläufen und sammeln dabei wertvolle Praxiserfahrungen.«
Nach diesem Jahr bleiben die Jugendlichen ihren Einsatzstellen oft treu und haben Einblicke in Jugendverbandsarbeit gewinnen können. Sie sind motiviert, weiterhin gesellschaftlich aktiv zu bleiben, und übernehmen nicht selten auch einen Posten im Vorstand der Jugendverbände.
Aus den guten Erfahrungen des Freiwilligen Ökologischen Jahres entstand beim Landesjugendring Brandenburg der Plan, das Angebot durch ein Freiwilliges Soziales Jahr im Kinder- und Jugendbereich zu ergänzen. Das Modellprojekt startete erstmals im September 2005. Die Jugendlichen können ihr Jahr in Kindergärten, die ein spezielles Bildungskonzept verfolgen, in Jugendclubs oder auch im Multimediabereich, zum Beispiel in der Medienwerkstatt Potsdam absolvieren. Der Schwerpunkt liegt ebenfalls auf Einsatzstellen in der Jugendverbandsarbeit. So können Jugendliche in die Arbeit der DGB-Jugend hineinschnuppern oder sich beim Bund der deutschen katholischen Jugend engagieren. Das Jahr prägt. So erinnert sich Selina Jahns, die im Montessori Kinderladen in Bernau ihren Freiwilligendienst absolviert hat: »In dem Jahr habe ich mich gewaltig verändert: Ich bin selbstbewusster, eigenständiger, organisierter und handlungsfähiger geworden.«
Aktivierende Seminarwochen. Das Gegengewicht zur praktischen Arbeit in den Einsatzstellen bilden die fünf einwöchigen Bildungsseminare, die während des Jahres stattfinden. Die jungen Menschen verleben eine Woche in Selbstversorgerhäusern in Brandenburg und sind für die Inhalte, Methoden, Workshops und die Abendgestaltung selbst verantwortlich. Anders als in der Schule stehen bei den Bildungsseminaren Partizipation und Selbstorganisation an erster Stelle. Jedes Seminar wird mit Hilfe von Vorbereitungsgruppen geplant und durchgeführt. Aufgrund der gemeinsamen Ideen werden die folgenden Wochen von Montag bis Freitag komplett von der Anreise bis zum Ende von den Jugendlichen gestaltet.
Die Jugendlichen lernen dadurch, wie ein Seminar spannend und lebendig wird, lernen, vor einer Gruppe zu stehen, eine Gruppe zu motivieren und sie für ein inhaltliches Thema zu interessieren. Grenzen überwinden und Neues ausprobieren sind Grundpfeiler der Seminare: zum Beispiel bei Teambildungsübungen, wie dem »Elektrischen Draht«. Hier müssen alle Mitglieder der Gruppe über eine 1,80m hohe Schnur gehoben werden, ohne diese zu berühren. Nach erfolgreicher Lösung wird dann reflektiert, wie dies geschafft wurde und wer die »Denker« respektive die »Macher« waren.
Zusammen werden die Wochen bunt. Exkursionen in die Umgebung der Häuser oder Arbeitseinsätze auf Ökohöfen stehen genauso auf dem Programm wie Vorträge von Referenten aus den unterschiedlichsten Einsatzfeldern, Diskussionsrunden, Theaterworkshops und andere Kreativangebote sowie gemeinsame Abende beim »Perfekten Dinner«, beim Lagerfeuer oder in der Disco. Gekocht wird zusammen mit Lebensmitteln aus ökologischer Landwirtschaft: Es wird ausprobiert und diskutiert, wie es ist, wenn das Fleisch mal auf dem Teller fehlt, wie bunt ein vegetarisch-veganes Essen sein kann oder wenn der Blick über den Tellerrand mal in andere Länder gewagt wird.
Was für eine Bedeutung die Seminarwochen haben, reflektiert Christian Eckhardt: »Ich wollte vor meinem Jahr in die Landwirtschaft gehen. Und obwohl mir die Arbeit viel Freude gemacht hat, bin ich davon deutlich kuriert. Allerdings bin ich durch die fünf Seminare, die ein wichtiger Bestandteil des FÖJ sind und vom Träger liebevoll und kompetent betreut werden, zum ersten Mal mit Gruppenprozessen und Teambildung in Berührung bekommen und war sofort begeistert. Jetzt arbeite ich in einer der Seminargruppen als Co-Teamer an der Gestaltung der Seminare mit. Andere Kontakte, die ich in dem Zusammenhang geknüpft habe, haben mir letztes Jahr einen reibungslosen Einstieg ins Berufsleben ermöglicht.«
FÖJ meets FSJ. Austausch steht während des Jahres immer wieder an oberster Stelle. Dies hat das Trägerwerk ernst genommen und ist zum ersten Mal mit allen Jugendlichen, die das Freiwillige Ökologische oder Soziale Jahr beim Trägerwerk absolvieren, auf Seminar gefahren.
Im Juni 2009 machten sich ca. 80 Jugendliche auf den Weg in das Dorf Klopot, welches gegenüber von Eisenhüttenstadt an der Oder gelegen ist. Der polnische Ort bietet einerseits viel Historisches, da ein verfallener Brückenkopf an die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges erinnert, und gewährt andererseits Einblicke in die Arbeit eines ansässigen polnischen Natur- und Umweltschutzvereins. Ein Vorbereitungsteam aus 15 jungen Menschen hatte sich viel vorgenommen: Es mussten große Versammlungszelte organisiert, eine Outdoorküche installiert und nicht zuletzt Themenworkshops über Interkulturalität und Nationalismus sowie Einblicke in die polnische Kultur und Geschichte vorbereitet werden. Nicht nur die Grenzen zwischen den Teilnehmern/innen des Freiwilligen Ökologischen und Sozialen Jahres verschwammen zusehends – auch die zwischen Deutschen und Polen. Die Woche mündete in ein großes Abschlussfest, bei dem einige Bewohner des Dorfes mitfeierten, und sich über ein polnisches Dankes- und Abschiedslied freuten.
»Dieses Treffen bringt die verschiedensten Menschen zusammen. Leute, die sich in der Disco nur misstrauisch und angewidert mustern würden, sitzen hier zusammen an einem Mittagstisch und sind in interessante Gespräche vertieft. Die ökologische und soziale Botschaft ist zwar immer anwesend, aber sie stört nicht«, erzählt Wilhelm Struppek über das große gemeinsame Seminar.
Solch ein gemeinsames Seminar gibt es nun jedes Jahr. Verschiedene Bausteine und Workshops machen es den Jugendlichen möglich, die Woche orientiert an ihren Interessen zu gestalten. Aus den drei einzelnen Seminargruppen wird über die Woche hinweg eine großes gemeinsames Team. Die Bereiche können voneinander wie miteinander lernen und befruchten sich gegenseitig. Bewusst wird Schubladendenken dabei abgebaut und gezeigt, dass man zusammen vieles bewegen kann – und sei es ein selbst zubereitetes Drei-Gänge-Menu für 80 Jugendliche.
Gremienarbeit im FÖSJ-Beirat. »Warum habe ich das eigentlich gemacht? Ständig zu irgendwelchen Beiratssitzungen rennen, mich nach der Arbeit mit anderen treffen, den ganzen Tag Emails schreiben, Leute anrufen und zu Ver-anstaltungen gehen? Die Antwort: Es hat irgendwie Spaß gemacht. Ich konnte mich einbringen, mitgestalten und Menschen kennenlernen. Ich hatte die Chance zu schauen, was ich selbst auf die Beine stellen kann«, sagt Erik Böhm über seine Arbeit als Mitglied des Beirates.
Mit Hilfe des »FÖSJ-Beirates«, welcher als Schnittstelle zwischen Trägerwerk und Landesjugendring sowie zwischen den einzelnen Seminargruppen dient, wird gezeigt, wie jede/r Einzelne Einfluss nehmen kann. Der Beirat versteht sich als Interessenvertretung der Freiwilligen, begleitet und entwickelt die Arbeit des Trägerwerks kontinuierlich weiter und gestaltet so das Freiwillige Jahr aktiv mit. Jugendliche aus beiden Freiwilligendiensten sitzen mit den Referenten/innen des Trägerwerks, einem Vorstandsmitglied des Landesjugendrings und den Einsatzstellenvertretern an einem Tisch. Gemeinsam beraten sie zum Beispiel über die Einsatzstellenauswahl des nächsten Jahrgangs, organisieren Aktionstage, geben Anregungen zur Öffentlichkeitsarbeit und bemühen sich, Jugendliche aller Freiwilligendienste in Brandenburg weiter zu vernetzen. Die Jugendlichen bekommen Einblicke in die Abläufe des Trägerwerks sowie des Landesjugendrings und sind wichtiger Botschafter für Freiwilligendienste gegenüber Öffentlichkeit und Politik. Die räumliche und organisatorische Verbundenheit mit dem Landesjugendring Brandenburg ermöglicht es den Jugendlichen, die aktuellen Entwicklungen jugendpolitischer Strukturen direkt zu verfolgen und über ihren Freiwilligendienst hinaus an Initiativen und politischen Veranstaltungen zu partizipieren.
Mit gutem Gewissen können wir im Landesjugendring Brandenburg sagen, dass wir die Jugendlichen reifer, erwachsener, selbstbewusster und ein wenig kritischer in ihr weiteres Leben entlassen. Und wir können behaupten, dass die lebendige Art der Bildung den Jugendlichen während ihrer FÖJ- oder FSJ-Zeit einen tieferen Wissens- und Erfahrungsschatz bietet als die Schule. Umso wichtiger ist es, dies immer wieder gegenüber der Politik zu kommunizieren.
Info:
Trägerwerk für das Freiwillige Soziale und Ökologische Jahr in Brandenburg
Träger: Landesjugendwerk Brandenburg
Laufzeit: FÖJ seit 1993 | FSJ seit 2005
Kontakt: Landesjugendring Brandenburg Trägerwerk | Gaby Meyer, Dana Heide und Marina Teichert | Breite Straße 7a | 14467 Potsdam | Tel.: (0331) 620 75 36 und (0331) 628 75 37 | foej@ und ljr-brandenburg.defsj@ | ljr-brandenburg.dewww.ljr-brandenburg.de