Von Dr. Thomas Gensicke, TNS Infratest Sozialforschung
Über die heutige Jugend hört man nicht nur Gutes. Allenthalben ist von wachsender Politikverdrossenheit, mangelndem sozialen Engagement und Desinteresse an gesellschaftlichen Problemen die Rede. Doch die aktuelle Shell Jugendstudie offenbart ein anderes Bild. Vor allem Zuversicht vereint die junge Generation der bis zu 25-Jährigen: Sie zeigt wieder stärkeres politisches Interesse und engagiert sich für soziale Zwecke.
Mehr als 2.500 Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren wurden zu Beginn des Jahres befragt: Bei der mittlerweile 16. Shell Jugendstudie stehen traditionell die Lebenssituation, Wertvorstellungen sowie politischen Einstellungen der jungen Generation im Fokus. Gegenüber der letzten Studie im Jahr 2006 hat sich dabei vor allem der Optimismus unter den Jugendlichen deutlich erhöht. Nur kurz nach der schwersten Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik hat die junge Generation offenbar neue Zuversicht gefasst: Insgesamt 59 Prozent der Befragten blicken uneingeschränkt optimistisch in die Zukunft. Vier Jahre zuvor taten dies nur etwa 50 Prozent. Allerdings sind diese Ergebnisse nicht ohne Einschränkungen zu betrachten. Die Zuversicht der Jugendlichen aus sozial schwachen Haushalten ist nämlich zeitgleich weiter gesunken. Die Kluft zwischen den Milieus hat sich mithin noch verstärkt.
Interesse an Politik steigt wieder leicht
Bereits seit 1952 beauftragt Shell in Deutschland unabhängige Forschungsinstitute um Sichtweisen, Stimmungen und Erwartungen von Jugendlichen zu dokumentieren. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen nicht nur individuelle Haltungen, sondern auch das politische Interesse und gesellschaftliche Engagement der jungen Generation. Bislang zeichneten sich Jugendliche dabei vor allem durch eine bemerkenswerte »Politik-Abstinenz« aus. Während es in den 70er und 80er Jahren gewissermaßen noch zum guten Ton gehörte, politisch interessiert zu sein, kippte diese Haltung spätestens Mitte der 90er deutlich um. Die Distanz zu politischen Institutionen, Parteien und sonstigen Formationen hatte sich bis zum Jahr 2002 immer weiter vergrößert: Nur noch 34 Prozent aller Jugendlichen bezeichneten sich seinerzeit als »politisch interessiert«.
Seitdem lässt sich allerdings ein erfreulicher Gegentrend beobachten. Nach der letzten Erhebung um Jahr 2006 zeigt auch die aktuelle Studie in diesem Jahr ein – wenn auch nur leichtes – Wachstum beim politischen Interesse. Mittlerweile bezeichnen sich wieder 40 Prozent der jungen Leute zwischen 15 und 24 Jahren als politisch interessiert. Von der Situation in den 80er Jahren mit damals mehr als 55 Prozent politisch interessierter Jugendlicher ist man aber trotzdem noch immer weit entfernt. Zentrale Einflussgrößen auf das politische Interesse sind neben Alter und Geschlecht vor allem auch Bildung und Herkunftsschicht: Generell stechen ältere sowie männliche Jugendliche durch ein hohes Interesse heraus. Der eigentliche Anstieg des politischen Interesses lässt sich allerdings vor allem auf die Jüngeren sowie die mittlere und gehobene Schicht zurückführen. Bei den Jugendlichen aus der Oberschicht stieg beispielsweise der Anteil der politisch Interessierten von 43 Prozent im Jahr 2002 auf aktuell 51 Prozent deutlich an. Stagnierend bis rückläufig zeigte sich die Entwicklung hingegen bei Jugendlichen aus der unteren Mittelschicht sowie der Unterschicht.
Eher links von der Mitte
Politisch ordnet sich die Mehrheit der Befragten nach wie vor »eher links« von der Mitte ein. Insgesamt stufen sich aktuell neun Prozent der Jugendlichen »links« und weitere 29 Prozent »eher links« ein. Ebenso 29 Prozent sehen sich in der Mitte. Der Rest sieht sich entweder weiter rechts von der Mitte oder nimmt keine politische Einstufung vor. Wie die Studie zeigt, ordnen sich politisch interessierte und höher gebildete Jugendliche dabei in der Regel etwas weiter links ein. Politisch desinteressierte und wenig gebildete Jugendliche tendieren hingegen etwas weiter zur Mitte. Ungebrochen erscheint auch der Trend zu mehr Demokratiezufriedenheit unter den Jugendlichen. Wie die Shell Jugendstudie zeigt, sind aktuell 63 Prozent der Befragten entweder »sehr zufrieden« oder aber »eher zufrieden« mit der Demokratie in Deutschland. Gegenüber der letzten Erhebung im Jahr 2006 entspricht das einem Anstieg von vier Prozent. Auffällig deutlich stieg die Zufriedenheit vor allem in den neuen Bundesländern von 37 Prozent im Jahr 2002 auf nunmehr 45 Prozent. Im Osten äußert sich zwar noch immer jeder zweite Jugendliche als unzufrieden mit der momentan bestehenden Demokratie, aber auch hier nimmt die Zufriedenheit deutlich zu. Ohnehin handelt es sich dabei um einen generellen Trend, den man bei allen sozialen Gruppen auffindet. So sind die Werte auch bei den Gruppen mit der niedrigsten Demokratiezufriedenheit – den Jugendlichen ohne Arbeit oder Ausbildungsabschluss – verglichen zur letzten Erhebung wieder leicht angestiegen. Bei den arbeitslosen Jugendlichen zeigte sich der Zufriedenheitszuwachs im Vergleich zu 2006 mit sechs Prozent sogar relativ deutlich. Steigendes Politikinteresse und mehr Demokratiezufriedenheit haben an der Wahlbeteiligung der Jugendlichen allerdings nicht viel geändert – sie liegt weiterhin in etwa zehn Prozent unter dem Durchschnitt aller Wahlberechtigten und folgt dem generell rückläufigen Trend. Dass die Wahlbeteiligung in Deutschland sinkt, liegt also nicht nur an den jungen Wählern, auch wenn diese im Schnitt seltener wählen gehen. Von der Idee, das Mindestalter zur Wahlbeteiligung auf 16 Jahre zu senken, halten die meisten Jugendlichen übrigens wenig: Insgesamt 56 Prozent der Befragten lehnen den Vorschlag explizit ab. Gegenüber dem Jahr 2002 hat sich diese Gruppe um elf Prozent vergrößert. Rund 21 Prozent der Jugendlichen ist die Frage nach dem Wählen mit 16 egal.
Vertrauen: Finanzwirtschaft wird abgestraft
Für die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen wurde bei der Studie auch das Vertrauen gegenüber staatlichen und privaten Institutionen abgefragt. Nach wie vor wird dabei vor allem der Polizei und Gerichten ein überdurchschnittliches Vertrauen entgegengebracht. Danach folgen Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen sowie die Bundeswehr. Auch die Europäische Union liegt in puncto Vertrauen noch über dem Durchschnitt. Dieses Ergebnis zeigt: Die Idee von Europa wird offensichtlich von den Jugendlichen trotz der häufig beklagten bürokratischen Praxis der EU-Kommission weiterhin befürwortet. Ein unterdurchschnittliches Vertrauen genießen hingegen die Bundesregierung und auch Kirchen. Die Schlusslichter bilden Konzerne, Parteien und vor allem Banken. Als Folge der letzten Rezession zeigen Jugendliche neuerdings offenbar einen ausgeprägten Missmut gegenüber Wirtschaft und Finanzen. Dies spiegelt sich wahrscheinlich auch bei den Banken wider, die beim Vertrauen den letzten Platz belegen.
Teilnahme an politischen Aktionen? Warum nicht!
Doch wie sieht es mit dem eigentlichen politischen Engagement junger Leute aus? Bei der Shell Jugendstudie wurden die Teilnehmer nach ihrer grundsätzlichen Bereitschaft gefragt, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen. Für 77 Prozent der Jugendlichen käme dabei die Beteiligung an einer Unterschriftenaktion am ehesten in Frage, sofern ihnen ein bestimmtes Anliegen persönlich wichtig ist und sie dazu ihre Meinung kundtun oder politisch Einfluss nehmen möchten. Insgesamt 59 Prozent davon berichteten sogar, dies schon einmal gemacht zu haben. Weitere 54 Prozent können sich vorstellen, aus politischen, ethischen oder Umweltgründen den Kauf einer Ware zu boykottieren. An Protestversammlungen würden sich 44 Prozent beteiligen – wobei etwas weniger als die Hälfte davon sogar schon mal demonstriert hat. Die Mitarbeit in einer Partei oder politischen Gruppe kommt hingegen nur für eine Minderheit von 17 Prozent in Frage. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass für lediglich acht Prozent aller Jugendliche keine der genannten Aktivitäten als Mittel der politischen Meinungsäußerung in Frage kommt. Insgesamt 15 Prozent zeigen eine geringe Bereitschaft – sie würden sich maximal an einer Aktivität beteiligen, etwa einer Unterschriftenaktion. Bei 37 Prozent aller Jugendlichen ist eine grundsätzliche Aktivitätsbereitschaft vorhanden – für sie sind zwei bis drei Aktionen wahrscheinlich. Weitere 22 Prozent weisen eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Bereitschaft auf. Diese Gruppe könnte sich mehrheitlich vorstellen, für politische Interessen an gleich mehreren Aktionen teilzunehmen und würde sich beispielsweise zu 68 Prozent an Demonstrationen oder zu 58 Prozent an Bürgerinitiativen beteiligen. Die restlichen 18 Prozent zeigen schließlich die höchste Aktivitätsbereitschaft: Diese Jugendlichen würden sich »wahrscheinlich« oder »auf jeden Fall« an nahezu allen genannten politischen Aktionsformen beteiligen, sofern ihnen diese persönlich wichtig sind. Besonders aktiv sind in diesem Zusammenhang höher gebildete Jugendliche, die sich selbst als eher links und politisch interessiert bezeichnen. Eine besonders geringe Bereitschaft findet sich hingegen bei politisch uninteressierten und niedrig gebildeten Jugendlichen, die sich entweder als eher rechts einstufen, oder aber sich gar nicht positionieren können. Außerdem zeigen die weiblichen Befragten tendenziell mehr Bereitschaft als die männlichen.
Jugend zeigt soziales Engagement
Im Vergleich zu den Vorjahren sind immer mehr Jugendliche auch sozial engagiert: 39 Prozent setzen sich häufig für soziale oder gesellschaftliche Zwecke ein. Dabei zeigen sich erneut soziale Unterschiede: Aktivität und Engagement sind bildungs- und schichtabhängig. Je gebildeter und privilegierter die Jugendlichen sind, desto häufiger sind sie im Alltag aktiv für den guten Zweck. Dafür verantwortlich sind vor allem die unterschiedlichen lebensweltlichen Kompetenzen der Jugendlichen. Aktiv im Alltag sein, setzt Selbstbewusstsein, soziale Kompetenz aber auch Gelegenheitsstrukturen im Alltag voraus. Außerdem hängt die Aktivität mit verschiedenen Wertorientierungen zusammen. An der Spitze bei den Aktivitäten steht vor allem der Einsatz für Jugendliche sowie deren Interessen und Freizeitgestaltung. Hinzu kommen eine ganze Reihe anderer Bereiche, etwa Aktivitäten für ältere Hilfsbedürftige, für sozial Schwache, für ein besseres Zusammenleben mit Migranten oder auch die Pflege der deutschen Kultur und Tradition. Die wichtigsten Sozialräume für Aktivitäten und Engagement sind in Deutschland nach wie vor die Vereine. Hier sind immerhin 47 Prozent aller Jugendlichen oft oder gelegentlich für gesellschaftliche und soziale Zwecke oder ganz einfach für andere Menschen aktiv. An Schulen und Hochschulen üben 22 Prozent der Befragten entweder Ämter aus, die mit Aktivitäten und Engagement verbunden sind, oder aber sie beteiligen sich dort an Initiativen. Danach folgen Kirchengemeinden, Projektgruppen und Jugendorganisationen. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen zeigt soziales Engagement aber auch für sich alleine und völlig unabhängig von Vereinen oder Institutionen. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um Engagement, das sich in sozialen Bezügen wie beispielsweise der Clique, der Nachbarschaft oder Wohngebieten äußert.
Gesellschaftliche Integration und Alltagskonflikte
Auch Probleme und Konflikte im Alltag werden in der Shell Jugendstudie nicht ausgeklammert. Gemessen wird etwa der Grad an Toleranz gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen, die Verwicklung von Jugendlichen in gewalttätige Auseinandersetzungen sowie ihre Einstellung zur Zuwanderungsthematik. Die Studie zeigt, dass Jugendliche gegenüber einzelnen Gruppen durchaus Vorbehalte artikulieren, allerdings kann von einer generellen Intoleranz nach wie vor keine Rede sein. Mit 27 und 26 Prozent werden am häufigsten Vorbehalte gegenüber türkische Familien und russischen Aussiedlerfamilien genannt. Zum Vergleich: Nur zehn Prozent der Befragten zeigen Vorbehalte gegenüber einer Familie aus Afrika mit dunkler Hautfarbe. Toleranz und Vorurteile gegenüber Migranten hängen also offenbar auch sehr stark davon ab, um welche Ethnien es sich handelt. Die öffentliche Wahrnehmung und Rollenzuweisung, etwa gegenüber türkischen oder russischen Migranten, schlägt sich dabei ebenfalls in den Vorbehalten nieder. Wer allerdings persönliche Kontakte zu Migranten in der eigenen Nachbarschaft aufweisen kann, äußert im Schnitt weniger häufig Vorbehalte. Eine deutliche Problementschärfung stellen die Forscher bei der Einschätzung der Zuwanderungsproblematik fest. Dabei ist die Anzahl derjenigen, die sich dafür aussprechen weniger Zuwanderer als bisher aufzunehmen, bei den Jugendlichen mit 46 Prozent im Vergleich zu 56 Prozent im Jahr 2006 und 48 Prozent im Jahr 2002 deutlich gesunken. Während sich in den alten Bundesländern 44 Prozent der Jugendlichen dafür aussprechen, sind es im Osten immer noch eine Mehrheit von 56 Prozent. Beim Thema Jugendgewalt zeigt die Studie hingegen keine wesentlichen Veränderungen im Vergleich zu den Vorjahren. Zusammengenommen berichten 23 Prozent der Jugendlichen in den letzten zwölf Monaten in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt gewesen zu sein. Mit 13 Prozent stehen dabei Schlägereien unter Jugendlichen an der Spitze. Danach folgen Schlägereien in Kneipen oder Schulen. Männliche Jugendliche sind dabei immer noch weitaus häufiger in solche Auseinandersetzungen verwickelt. Fast jeder Dritte war in den letzten zwölf Monaten in eine Schlägerei involviert. Am häufigsten traten gewaltsame Auseinandersetzungen bei den 15- bis 17-Jährigen auf.
Fazit: »Repolitisierung« der Jugend?
Wie Jugendliche zu Politik und Gesellschaft stehen, hängt stark davon ab, welche Chancen sich ihnen in Abhängigkeit von ihrer sozialen Lage, ihrer Herkunftsschicht und ihrer Bildungsoptionen bieten. Das zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Einstellungen und Orientierungen. Zusammenfassend zeigt die Studie durchaus Tendenzen zu stärkerem politischen Interesse. So zeigt sich die Jugend häufig bereit, an politischen Aktivitäten teilzunehmen. Auch Politikinteresse und Demokratiezufriedenheit haben im Vergleich zu den Vorjahren wieder zugenommen. Es ist also offenbar weniger ein allgemeines Desinteresse an Politik und Gesellschaft oder eine grundsätzliche Distanz zur Demokratie, welche die Jugendlichen zur Politikverdrossenheit führt. Der sichtbare Vertrauensverlust richtet sich vielmehr an die Parteipolitik und damit natürlich auch an deren Repräsentanten.
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Zur Person
Dr. Thomas Gensicke, Jahrgang 1962, leitet den Bereich »Staat und Bürger« bei TNS Infratest Sozialforschung in München und ist dort seit 2002 auch an der Erstellung der Shell Jugendstudien beteiligt. Gensicke studierte Philosophie an der Universität Leipzig. Als Wissenschaftler war er für verschiedene Forschungsinstitute tätig und hatte Lehraufträge an der PH Karlsruhe sowie der Universität Koblenz-Landau. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen unter anderem die empirische Einstellungs-, Werte- und Kulturforschung.