Zur aktuellen Ausgabe
Ein Heft zur falschen Zeitpunkt? Das Magazin des Landesjugendrings Hamburg hat, bedingt durch Knappheit an personellen wie finanziellen Möglichkeiten, einen langen Vorlauf in der Themenplanung und ebenso in der Produktion. Nicht allein infolge dessen korrespondieren Titelthemen von punktum nicht mit einem schnell flatternden Zeitgeist. Für ein vierteljährig erscheinendes Blatt hat dies gute Seiten (Zeit zum Denken und Schreiben) und weniger gute (keine Option zur schnellen politischen Reaktion auf aktuell relevante Themen). Dieser Umstand sei vorausgeschickt, um rund zehn Tagen vor dem Erscheinen des Heftes sowohl dieses Editorial als auch das Titelthema »Rechtspopulismus« zu verorten. Denn angesichts der aktuellen politischen Debatten nach dem G20-Gipfel in Hamburg und über die gewaltsamen Ausschreitungen im Schanzenviertel hat sich der öffentliche Blick auf den Linksextremismus fokussiert. Wie und warum kann punktum zum Zeitpunkt des Erscheinens dann also den Blick auf den Rechtspopulismus richten?
G20. Doch die Dinge liegen näher bei einander, als es der Anschein vermuten lässt. Zumal wenn man den Blick auf die brutalen Ausschreitungen im Schanzenviertel richtet, deren Bilder in der öffentlichen Wahrnehmung andere Formen des Protestes und der Kritik wie etwa beim Gegengipfel auf Kampnagel überlagert haben. Das war gewollt von jenen Akteuren, die in der Schanze wüteten: Das inszenierte Bild des Protestes – die in Flammen stehende Stadt, die entfesselte Gewalt – sollte zum Spiegelbild jener globalen Verhältnisse taugen, deren Verantwortlichkeit man bei den »Herrschenden« des G20-Gipfels wähnte. Das ist populistisch und naiv zugleich. Schon in der alten Kritik der politischen Ökonomie, auf die sich jene Akteure manchmal noch berufen, hat Marx einst davor gewarnt, die sozialen »Charaktermasken« von Kapital und Arbeit zu fetischisieren: Nicht der Kapitalist sei gierig und aus moralisch verwerflichen Gründen ein Expropriateur, sondern die anonymen Bewegungsgesetze des Kapitals verhalten seinen Träger zur Ausübung dieser Rolle. Schon Marx also warnte vor naiver Personifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse, erst recht vor der Verwechselung stummer ökonomischer Macht mit seinem politischen Ausdruck. Der Populismus jeglicher Couleur macht es sich da einfacher. Die Reduktion komplexer Zusammenhänge auf einfache Bilder von Freund und Feind ist ein übergreifendes Muster. Wo die linke Spielart gerade »G20 angreifen« gerufen hat, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, da retourniert nun der rechte Populismus mit »linksextremistische Strukturen zerschlagen«, um den »Rechtsstaat zu retten«. Beide bekämpfen einen Gegner, der aus »Bündel bloßer Vorstellungen« (David Hume) besteht.
Ein Blick auf Europa. Weshalb diese punktum-Ausgabe mit seiner Fokussierung auf Rechtspopulismus vor der Bundestagswahl seine Berechtigung hat, klärt auch ein Blick auf die politische Landkarte Europas. Hier spielt der Linkspopulismus kaum eine Rolle. Aber in neun europäischen Ländern regieren rechtspopulistische Parteien oder sind an der Regierung beteiligt. In nahezu allen nationalen Parlamenten sind sie mit mehr oder minder großen Fraktionen vertreten. Die alleinige Ausnahme bildet bislang der Deutsche Bundestag. Selbst ein Kommentator der konservativen FAZ bekam jüngst kalte Füße und bezeichnete den Rechtspopulismus als einen sich in Europa verbreitenden Virus einer »totalitären Demokratie«, der liberal-demokratische Systeme befällt. Diese Gefahr besteht auch in Deutschland. Deshalb analysieren die Autoren dieses Heftes Muster rechtspopulistischer Denk- und Agitationsformen – als politisches Gegengift. (jg)