Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2016, Rubrik Titelthema

Ausblendung? Idealisierung?

Fragen an die Shell Jugendstudie

Von Ronald Lutz, Fachhochschule Erfurt

Immer wieder erhebt die Shell Studie den Anspruch aktuelle Einstellungen Jugendlicher empirisch abzubilden. Mit ihren Aussagen und ihrem Charakter einer Langzeitstudie lassen sich tatsächlich Veränderungen und Entwicklungen identifizieren, die eine hohe öffentliche und politische Aufmerksamkeit erlangen. Die Studie repräsentiert zwar eine breite Mehrheit, doch kann sie nicht für alle Jugendlichen sprechen; zumindest die aktuelle ist hinsichtlich sozialer Probleme kaum aussagefähig, Daten zur Jugendarmut fehlen nahezu gänzlich. Analysen der Studie können in ihrer Validität nicht in Frage gestellt werden. Es bleibt aber unklar, warum die soziale Realität nicht vollständig dargestellt wird und es keine klaren Aussagen zu jenen gibt, die sich am Rande der Gesellschaft befinden.


Eine große Erzählung

Auf der Basis einer repräsentativ zusammengesetzten Stichprobe von 2.558 Jugendlichen im Alter von zwölf bis 25 Jahre formuliert die Studie den Anspruch, ein aktuelles und generalisiertes Bild der Jugendlichen zu liefern, das Grundlagen für gesellschaftliches und politisches Handeln bereitstelle [1]. Explizit betont wird der »Optimismus« der Befragten, die zuversichtlich in die persönliche Zukunft schauen und diese nicht als Bedrohung sehen. Sie verfügen über ein »solides und konservatives Wertesystem«, eine deutliche Mehrheit räumt dem Respekt vor Gesetz und Ordnung großen Raum ein. Festgestellt wird, dass viele »fleißig und ehrgeizig seien«. Mehr als die Hälfte finden es wichtig, die Vielfalt der Menschen anzuerkennen und zu respektieren. Einen hohen Stellenwert besitzen zudem Bildung und Familie.

Bei den befragten Jugendlichen werden im Vergleich mit den Vorjahren insgesamt Anzeichen eines Sinneswandels beobachtet. In den letzten Jahren seien Unsicherheit, ob das Leben auch so gestaltbar wäre, wie man es sich wünsche, sowie Druck- und Angstgefühle gewichen. Stattdessen sei 2015 Optimismus erkennbar, auch zeigten sich ein wachsendes politisches Interesse sowie die Bereitschaft zum politischen Engagement. Die Analysen sprechen von einer »Generation im Aufbruch«, die pragmatisch, zuversichtlich, tolerant, wertoffen, fleißig, ehrgeizig und zugleich wertkonservativ orientiert sowie fern von Ideologien ihr Leben plane. Die Jugendlichen vermitteln, dass sie dem Leben zugewandt und in der Lage seien, sich mit der vorhandenen Realität positiv und gestalterisch zu arrangieren. Transportiert wird das Bild einer sympathischen, weltzugewandten und freundlichen Jugend, auf die man in den Bildungsinstitutionen, in der Politik und auch in der Öffentlichkeit durchaus stolz sein kann.

Unbestritten gelten diese Aussagen für die Mehrheit, doch damit wird nur eine Seite der Situation Jugendlicher hervorgehoben. Die glänzende Oberfläche hat einen Schatten, der in der Studie nicht weiter auffällt. Wenn 61 Prozent optimistisch sind, was ist dann mit den anderen 39 Prozent? Wer sind diese Anderen? Repräsentativität unterstellt heißt auch, dass Jugendliche befragt wurden, die in sozialer Benachteiligung leben. Wer hat dann welche Einstellungen bzw. wie verteilt sich der Optimismus über soziale Lagen? Ähnliches könnte man bezüglich der 84 Prozent fragen, die über ein solides Wertsystem verfügen. Wer ist das und wie sieht dies bei den anderen 16 Prozent aus? Wenn 81 Prozent Gesetz und Ordnung respektieren, wer sind dann die 19 Prozent? Wenn 58 Prozent bereit sind sozialen Randgruppen und Benachteiligten zu helfen, wobei helfen noch klarer umrissen werden müsste, ist nach der Einstellung der anderen 42 Prozent zu fragen. Ist für diese soziale Ungleichheit normal, haben sie sich damit arrangiert oder nehmen sie diese gar nicht mehr wahr?

In der Studie lassen sich hierauf keine Antworten finden. Brüche, Widersprüche und Benachteiligungen anderer werden nicht benannt oder erörtert. Kinder- und Jugendarmut, prekäre Lebenslagen, die je nach sozialer Lage sich differenzierenden Bildungschancen und die extrem unterschiedliche Einmündung in das Erwerbssystem scheinen nicht zur Erzählung der Shell Studie zu gehören. Möglicherweise war die Kontrastierung der positiven Erzählungen einer Mehrheit mit gesellschaftlichen Konflikten und sozialen Problemlagen nicht beabsichtigt, da diese nicht in die politischen Aussagen der Studie passen, dass es der Jugend trotz gesellschaftlicher Konflikte gut gehe und sie pragmatisch und optimistisch in die Zukunft schaue. Könnte es sein, dass mit der Studie ein positives Bild inszeniert wurde, indem man Schattenseiten ausblendete? Könnte das auch an einem homogenen Begriff von Jugend liegen, indem Aussagen einer statistischen Mehrheit generalisiert wurden?

Analysen der Jugendforschung belegen immer wieder (Fischer; Lutz 2015), dass es die Jugend als einheitliche Lebensphase nicht gibt, es gibt viele Jugenden (oder auch Jugendkulturen), die sich in einem völlig heterogenen Gewand und auch kontrovers darstellen. Dahinter verbergen sich Menschen mit ungeheuerlich differenzierten Möglichkeiten, Kompetenzen und Ressourcen, aber auch Menschen mit extrem eingeengten, die kaum Optimismus äußern und sich selbst als abgehängt sehen (Lutz 2015a). Notwendig sind heterogene Abbildungen; ein offener und generalisierter Begriff von »Jugend«, der kontroversen Einstellungen nicht abbildet, bereitet Schwierigkeiten, da er Einheitlichkeit suggeriert, die in sich vielfach gebrochen ist. Es entsteht leicht ein idealisiertes Bild, das mehr über die Gestalter des Bildes als über die Jugendlichen aussagt.

In den Darstellungen der Studie breitet sich eine »große Erzählung« von pragmatischen und der Zukunft zugewandten Jugendlichen aus – ein Bild von mehreren möglichen. Es werden Interpretationen und Vorstellungen hervorgehoben, die zweifelsohne als uneingeschränkt gesellschaftsfähig gelten und sich mit Pragmatismus, Zukunft und Fortschritt verbinden. Würde das Andere dieser Erzählungen mit abgebildet, dann relativierte sich dies erheblich : Schwierige und gefährdete Jugendliche sowie Bilder von Benachteiligung und Armut, die zu anderen Einstellungen führen, würden ein weniger positives und damit anderes Bild spiegeln. Es zeigten sich Widersprüche und Konflikte in der Gesellschaft, die Öffentlichkeit und Politik immer weniger hören wollen. Eine eigentlich notwendige Relativierung durch die gleichzeitige Betonung der Schattenseiten scheint nicht gewollt zu sein.

Ausblendung und Idealisierung könnten in ihrer Dialektik mit einem spezifischen Bild der Jugend zusammen hängen, das implizit in der Studie aufscheint und unreflektiert in die Interpretationen einfloss. Ich habe in jüngeren Publikationen auf den »mythischen Charakter des Bildes von Jugend« hingewiesen, der sich aus einem offenen und Heterogenität nicht abbildenden Begriff ergibt, indem gefährdete Jugendliche zu gefährlichen Tätern werden, die sich angeblich selbst an den Rand der Gesellschaft bringen und nicht Ausdruck von sozialen und ökonomischen Widersprüche sind (Lutz 2015 a, b und c). Dieser Mythos verdichtet sich in einer Stilisierung von Jugend als Lebensstil. Auch hat dies u.a. dazu beigetragen, dass eine intensive Beschäftigung mit Jugendarmut bisher nur in Ansätzen stattgefunden hat. Ich will die Aussagen der Shell Studie in diesem Kontext reflektieren. Um dies zu explizieren, soll ein kurzer Blick auf das geworfen werden, was die Studie eben nicht sagt.

Was die Studie eben nicht sagt : Armut und Verwundbarkeit

Kinder- und Jugendarmut als Ergebnis ökonomischer und sozialer Ausgrenzung ist seit Jahren Gegenstand einer Fülle von Publikationen und Tagungen, der 14. Kinder- und Jugendbericht sowie der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung [2] gingen darauf ein, seit Jahren werden im »Monitor Jugendarmut« Zahlen und Analysen präsentiert [3]. Reflexionen zur Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen zeigen auch, dass es zwischen Kinderarmut und Jugendarmut essentielle Unterschiede gibt und letztere eines besonderen Blickes bedarf, da die Verursachungs- und Erfahrungskontexte jugendspezifisch erörtert werden müssen (Ploetz 2013; Lutz 2014, Lutz 2015 a, b und c).

Die Altersgruppe der 18- bis 24-jährigen liegt mit ca. 20 Prozent deutlich über der allgemeinen Armutsrisikoquote in 2014 von 15,4 Prozent [4] und damit oberhalb der Kinderarmutsrisikoquote, die sich bei ca. 15 Prozent eingependelt hat [5]. Eine nicht zu übersehende Anzahl von Jugendlichen zählt zu den sozial und ökonomisch verwundbareren Menschen, die auf Grund fehlender bzw. eingeschränkter Ressourcen und Kompetenzen stärker als andere bedroht sind und somit den Ausgrenzungsprozessen zu erliegen drohen. Befragungen zeigen auch, dass viele Angst vor der Zukunft haben und sich auf ein Leben in Armut und Abhängigkeit einstellen. Der in der Shell-Studie dargelegte Optimismus ist ihnen fremd (Lutz 2015c).

Das ist nicht verwunderlich, da viele Kinder und Jugendliche bereits lange Armuts- und Ausgrenzungserfahrungen haben, die ihre Einstellungen prägen. Sie erleben Armut und Gewalt schon in der Herkunftsfamilie, ihre Kontakte bleiben auf das Milieu ähnlich gelagerter Lebenswirklichkeiten beschränkt, auch scheitern viele mehrfach im Schulsystem, bleiben diesem immer wieder fern, erhalten keinen qualifizierenden Schulabschluss und auch keinen Ausbildungsplatz, der Zugang zum Erwerbssystem bleibt »versperrt«. Schließlich ist auch die Hilfesuche nicht immer von durchschlagendem Erfolg gezeichnet, da immer wieder Jugendliche im Gewirr der Jugendhilfe »verloren« gehen (Lutz 2015a). Die Lebensphasen Heranwachsender werden vielfach gebrochen, es offenbart sich ein stark heterogenes Bild.

Probleme gefährdeter Jugendlicher entwickeln zudem weniger Attraktivität für politische und wissenschaftliche Diskurse als Kinderarmut, bei der immer noch das Bild des »unschuldigen Kindes«, das man retten muss, prägend ist (Lutz 2015c). Ich habe an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass es für auffällige Jugendliche mehrere verfügbare Interpretationshülsen gibt, andere Ordnungsschemata im Komplex sozialer Probleme, in die man sie einsortieren und aus der Wahrnehmung sozialer Ungleichheit verdrängen kann (Lutz 2015b). Dazu zählen »Auffälligkeiten« wie Punks, jugendliche Migranten, kriminelle Jugendliche, gewaltbereite Jugendliche, obdachlose Jugendliche, drogenabhängige Jugendliche, Trebegänger, Wohnungslose, Halbstarke oder Randalierer (Plötz 2013; Lutz 2015 a und c).

Individualisierte Einzelphänomene lenken von kulturellen, sozialen und ökonomischen Risiken ab, die in den vielfältigen Übergängen dieser Lebensphase liegen. Konflikte zwischen Kindheit und Erwachsensein kommen kaum in einen zusammenhängenden Blick. Soziale Risiken verschwinden hinter den Stigmatisierungen, den Vorurteilen und den Interpretationen, die in Auffälligkeiten stilisiert werden und von einem scheinbar konsistenten Bild abkoppelbar sind.

Diese Individualisierung zeigt sich in der medialen Aufbereitung jugendlicher Probleme (Lutz 2015a). Es häufen sich Serien über sogenannte verhaltensauffällige Jugendliche, die anklagen und Vorurteile befördern. Jugendliche sind darin nicht Opfer, wie das unschuldige Kind, sondern »Täter«; sie werden als verantwortlich handelnde Subjekte dargestellt, die sich allerdings jenseits gesellschaftlich gesetzter und normativ entworfener Erwartungen bewegen bzw. diese bewusst missachten :
•    es sind Jugendliche, an denen die Eltern verzweifeln;
•    es sind extrem auffällige Jugendliche, die in Camps »umerzogen« werden sollen;
•    es sind Jugendliche, die nach öffentlicher Meinung irgendwie aus dem Ruder laufen;
•    es sind Jugendliche, die als Suche nach dem Kick einfach mal jemand erschlagen.

Es zeigt sich ein grundlegendes Problem : Kinder leben noch in einem gesellschaftlichen Schutz- und Schonraum, der sie »unschuldig« an ihrer Situation sein lässt. Jugendliche können hingegen als »schuldig« angesehen werden, damit können »Rettungsabsichten« analog zum unschuldigen Kind verhindert oder zumindest erschwert werden. Jugendliche entsprechen nicht den Erwartungen, die man an sie heran trägt, eben pragmatisch, wert-orientiert, respektvoll und optimistisch in die Zukunft zu schauen. Im Fokus der Erzählungen über Jugend stehen handelnde Subjekte, die entweder erfolgreich sind oder als Verlierer im gesellschaftlichen Sinne gelten. Auffällige Jugendliche werden als Versager stilisiert, die scheitern oder gar Normen missachten und sich somit nicht in das erwartete Bild fügen. Mit dieser Individualisierung, Abkopplung und Verdrängung wird es möglich, ein positives Bild zu idealisieren.

Dieser angedeutete Kontext war den Autoren/innen der Shell-Studie sicherlich bekannt. Deshalb ist die Frage zu stellen, weshalb dies in den Befragungen und Analysen nicht aufgegriffen und adäquat gespiegelt wurde. Könnte es sein, dass benachteiligte und auffällige Jugendlicher ausgeblendet bleiben, da ein öffentlich inszeniertes und positives Bild von Jugend entstehen soll, das als Symbol eines Lebensstils nichts von seinem Glanz verlieren darf? Aussagen zur Jugend müssen dann, um nicht quer zum »Jugendstil« der Gesellschaft zu liegen, grundsätzlich optimistisch sein und Pragmatismus, Respekt oder konservative Wertorientierungen betonen. Nur so fügen sie sich in die dominanten, öffentlichen Debatten und aktuellen Entwürfe.

Erzählung als Mythos

Die Shell-Studie betont vor allem eine aus gesellschaftlicher und politischer Sicht positive Seite jugendlicher Selbstdarstellung und blendet anderes aus. Damit bedient sie ungewollt einen modernen Mythos, der sich um Jugend rankt. Unter Mythos verstehe ich ganz allgemein eine kulturelle (und somit gesellschaftliche) Erzählung, mit der ein diskursiv entworfenes und herrschendes Welt- und Selbstverständnis zum Ausdruck gebracht wird, das in sich zwar eines negativen Gegenentwurfs benötigt um das eigentlich Positive, das gesellschaftlich besonders erwartete, zu betonen. Doch das muss nicht immer eigens betont werden.

Bezogen auf Jugend glänzen in unserem Alltag Bilder schöner und erfolgreicher junger Menschen, die mitunter auf eine ewig ausgedehnte Gegenwart getrimmt scheinen. Dieser Glanz wird sogar übermächtig, da er Schönheit und Erfolg auch für jene zu offerieren scheint, die  – in Benachteiligung aufgewachsen – sich über Castings wie DSDS demonstrieren lassen, sie könnten partizipieren und somit eine trügerische Hoffnung aufbauen. Wer will und fähig ist, der kann – das ist die darin liegende Botschaft des Erfolgs. Vermittelt wird : Im Gegensatz zu Kindern, die an ihrem Schicksal aus eigener Kraft wenig ändern können, wären Jugendliche dazu sehr wohl in der Lage. Die Fatalität dieser Botschaft ist allerdings, dass sie jene missachtet, die aus welchen Gründen auch immer, die nicht bei ihnen liegen, genau das eben nicht vermögen und an den Herausforderungen zu scheitern drohen.
In der Offenheit der begrifflichen Konstruktion ist Jugend eine Projektionsfläche, auf der aktuell vor allem das Jung-Sein als Wunsch und Vision stilisiert wird. Das muss eine glänzende Fläche sein, in der sich Metaphern und moderne Versprechungen wie Zuversicht, Dynamik, Erfolg, Unsterblichkeit, Reichtum, Schönheit, Durchsetzungsvermögen, Ausdauer oder auch Macht spiegeln können. Logischerweise muss eine solche Aufladung die Realität all jener jungen Menschen ausblenden, die dem widersprechen könnten. Je mehr Erwachsene jung sein wollen bzw. den damit verbundenen Essentials und Hoffnungen hinterher rennen, desto weniger gerät die reale Situation schwieriger Jugendlicher in den Blick, bzw. diese werden als von der Norm abweichend interpretiert und ausgeblendet, indem man einzelne zu Tätern und zugleich zu Verlierern stilisiert, die im unwürdigen Handeln dem Glanz als besserem Entwurf noch einmal Nahrung geben.

Hierin verdichtet sich aber auch ein Drama, das sich in der gegenwärtigen Moderne auszubreiten beginnt. Allmählich wird evident, dass die Erzählungen immer weniger den Realitäten entsprechen bzw. sich von ihren tatsächlichen Ansprüchen lösen : Die moderne Dynamik eines endlosem Wachstums, eines Zwanges zur stetigen Innovation und unübersehbaren Tendenzen zur radikalen Beschleunigung lösen die Wirklichkeit von den Wurzeln dieser Erzählungen ab (Lutz 2014). Mit den positiven Zeichnungen der Shell Studie wird hingegen betont, dass es noch immer möglich ist, sich mit dieser Welt zu arrangieren, sie aufzunehmen, sich darin zu positionieren und in ihr aktiv, pragmatisch und zukunftsorientiert zu leben. Da sich dies vor allem auf Orientierungen der heran wachsenden Generation bezieht, vermittelt diese Erzählung Hoffnung und Zuversicht : Alles wird trotzdem gut!

Fazit

Die Shell-Studie bedient den Glanz und folgt darin dem Mythos Jugend, indem sie das Andere umgeht und dessen positive Seite besonders betont. Sie ist zwar eine empirisch valide Studie, deren Ergebnisse eine die Mehrheit repräsentierende Realität spiegeln, doch eben nicht vollständig. Sie bestätigt insbesondere ein positives Bild der Gesellschaft und lässt die Schattenseiten außen vor. Indem sie diese ausblendet, wirkt sie in ihrer Gesamtdarstellung moralisierend, normativ und affirmativ.
Meine provokante Frage an die Studie ist nicht beantwortet : Will sie ganz bewusst nicht den Finger in die soziale Wunde der Jugendarmut bzw. gefährdeter Jugendlicher legen, da man sich den kulturellen Konflikten, die das auslösen könnte, nicht wirklich stellen will bzw. die öffentlichen Reaktionen fürchtet? Oder sind ihr die Schattenseiten prinzipiell fremd, da diese nicht mit den Erzählungen und Bildern von Jugend übereinstimmen, die im Hintergrund wirken?

Die gesellschaftliche Bedeutung der Shell Studie lässt sich nicht übersehen, sie wird von den Autoren/innen explizit formuliert : Man will »Grundlagen für gesellschaftliches und politisches Handeln liefern«. Wird hier nicht mit den Mitteln einer empirisch agierenden Wissenschaft, die manches ausblendet, ein Bild gezeichnet, wie man die Jugend idealerweise gerne hätte? Macht die Studie nicht auch dahingehend Politik, indem sie negative Seiten des Heranwachsens verleugnet und verdrängt? Ist gar die Normalisierung von Armut so weit fortgeschritten, dass man diese nicht mehr erwähnen muss?
Das gezeichnet positive Bild ist normativ, es suggeriert implizit, dass die jungen Menschen, die davon abweichen, nicht zur Normalität der Jugend im Lande gehören, Täter oder Verlierer sind. Das passt in die neoliberale Grundhaltung, die sich in der Realität der Gesellschaft seit Jahren ausbreitet.


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Literatur
Fischer, Jörg / Lutz, Ronald (Hrsg.) : Jugend im Blick, Weinheim 2015
Lutz, Ronald : Soziale Erschöpfung, Weinheim 2014
Lutz, Ronald : Erschöpfte Jugendliche. Auf dem Weg in die nächste Generation armer Menschen; in : Jörg Fischer, Ronald Lutz (Hrsg.) : Jugend im Blick, Weinheim 2015a, 181-198
Lutz, Ronald : Mythos Jugend. Zwischen Realität und gesellschaftlicher Wahrnehmung; in : Jörg Fischer, Ronald Lutz (Hrsg.) : Jugend im Blick, Weinheim 2015b, 235-154
Lutz, Ronald : Kinder- und Jugendarmut : Gesellschaftliche Wahrnehmungen und politische Herausforderungen, in : Veronika Hammer, Ronald Lutz (Hrsg.) : Neue Wege aus der Kinder- und Jugendarmut, Weinheim 2015c, 12-56
Ploetz, Yvonne (Hg.) : Jugendarmut. Beiträge zur Lage in Deutschland, Opladen 2013


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Fußnoten
[1] www.shell.de/aboutshell/our-commitment/shell-youth-study-2015.html; Zugriff am 20.2.2016
[2] www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/14-Kinder-und-Jugendbericht,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf; www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a334-4-armuts-reichtumsbericht-2013.pdf?__blob=publicationFile;  Zugriff am 25.2.2016
[3] www.jugendarmut.info/monitor_jugendarmut_2014;  Zugriff am 25.2.2016
[4] www.der-paritaetische.de/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&g=0&t=1458405370&hash=e6ab3a4436e0b1c50c8f49840b6be9b3fa454a5e&file=fileadmin/dokumente/2016_armutsbericht/ab2016_komplett_web.pdf; Zugriff am 10.3.2016
[5] www.jugendarmut.info/initiative; Zugriff am 25.2.2016; allerdings gibt es in den diskutierten Quoten keine einheitlichen Altersgrenzen, auch werden zumeist Studierende mit eingerechnet.