Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2015, Rubrik Titelthema

»Der 27. Januar ist für mich …«

Foto-Aktion von Jugendverbänden zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Von Pit Dreves, DGB-Jugend, und Dennis Blitz, LJR, Bildungsreferent

Der 27. Januar ist seit 1996 in Deutschland der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. In seiner Proklamation vom 3. Januar legte der damalige Bundespräsident Roman Herzog diesen Gedenktag auf den Jahrestag der Befreiung des Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Vor zehn Jahren wurde dieser Tag auch von den Vereinten Nationen zum internationalen Gedenktag erklärt.

Von den mehr als 55 Millionen Opfern, die während des Zweiten Weltkrieges im Krieg umgekommen sind oder in Konzentrationslagern systematisch vernichtet wurden, sind allein im Konzentrationslager Auschwitz mehr als eine Million Menschen ermordet worden. Die Befreiung der Überlebenden von Auschwitz jährte sich in diesem Jahr zum 70. Mal. Doch was hat der 27. Januar heute mit der Lebensrealität junger Menschen zu tun?

Herzog mahnte in seiner Proklamation: »Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.« Um dem Vergessen der Verbrechen der Nationalsozialisten entgegenzuwirken und um diesen Gedenktag mehr in das öffentliche Bewusstsein – insbesondere dem junger Menschen – zu rücken, rief der Landesjugendring gemeinsam mit mehreren Hamburger Jugendverbänden zu einer Foto-Aktion in die Innenstadt auf. Rund 20 junge Aktive aus unterschiedlichen Jugendverbänden versammelten sich mit Banner, Kamera und Klemmbrett in der Rathauspassage und sprachen Passanten/innen an, um von ihnen ein persönliches Statement zum Gedenktag zu bekommen. Vielen Angesprochenen war zunächst nicht klar, dass der 27. Januar ein Gedenktag ist. Darauf aufmerksam gemacht, fanden aber fast alle das Erinnern und Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auch heute noch wichtig. Bei der Begegnung mit den Passanten/innen kamen die jungen Aktiven aus den Jugendverbänden über die Bedeutung des Gedenktages und über persönliche Positionen ins Gespräch, aber auch über Gedanken und Gefühle in Hinblick auf die Opfer des NS-Regimes. Viele der angesprochenen Personen brachten ihre Assoziationen zu Papier und wirkten hierdurch an einer wachsenden Foto-Ausstellung mit: Sie wurden mit ihren Statements fotografiert, die Fotos wurden vor Ort kurzerhand ausgedruckt und in der Rathauspassage aufgehängt.
Die Bandbreite der Gedanken und Assoziationen zum Gedenktag war groß. Häufig fiel es den Angesprochenen schwer, einen Satz zu formulieren und manche drückten dies mit den Worten »Sprachlosigkeit« oder »das Unfassbare« aus. Einige Passanten/innen reagierten auch sehr emotional und waren davon berührt, dass sich junge Menschen für das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einsetzen. Teils gab es auch die Einsicht, dass ein Informationsdefizit zu den NS-Verbrechen in Auschwitz und in anderen Konzentrationslagern besteht, was eine Passantin mit den Worten »viel gehört, wenig gesehen« zum Ausdruck brachte. Eine andere assoziierte mit Auschwitz »schreckliche Fotos« und vielen war es wichtig, diesen Tag der Befreiung nicht zu vergessen.
Statements wurden nicht nur von Passanten/innen, sondern auch von Teilnehmenden der Aktion eingeholt. Zu Papier gebracht wurden unter anderem diese Aussagen:
• Wenn ich an Auschwitz denke, dann erinnere ich mich an die Gräuel, die Menschen anderen Menschen zufügen können und die nie richtig gesühnt bzw. bestraft wurden.
• Der 27. Januar ist für mich der Tag, der mich an meine Verantwortung für die Gegenwart erinnert.
• Ich gedenke heute, weil ich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen möchte …
• Wenn ich an die Opfer von Auschwitz und die NS-Zeit denke, wird mir bewusst, wie wichtig es ist, gegenüber Rassismus in der Gesellschaft wachsam zu sein.
• Der 27. Januar ist für mich der beste Grund, montags vor dem Brandenburger Tor »offen und bunt« zu sein. Eine der Jugendlichen schrieb, sie gedenke heute, weil »es Leute gibt, die den NS leugnen!« Tatsächlich traf die Aktion nicht nur auf positive Resonanz und vereinzelt wurden die Teilnehmenden mit ablehnenden bis offensiv verurteilenden Reaktionen konfrontiert: Darunter war sogar ein Auschwitz-Leugner, der die NS-Verbrechen relativierte und von nachträglich errichteten Gaskammern sprach. Ein anderer Passant veränderte den vorgedruckten Anfang seines Statements und sagte, er gedenke heute nicht, weil dieser Teil der Geschichte »vorbei/gewesen« sei.
Nach zwei Stunden versammelten sich die engagierten Jugendlichen zu einer Nachbereitung und alle waren sich einig: Die Aktion hat etwas gebracht. Auch wenn es Vielen schwer fiel, ihre Gedanken und Emotionen zu diesem Thema in Worte zu fassen, hielten die angesprochenen Menschen doch einen Moment inne. Die ausgestellten Fotos, das große Banner und mehrere Plakate haben zudem vorbeigehende Passanten/innen zum Nachdenken angeregt – auch wenn sie sich nicht fotografieren ließen, verweilten doch viele einen kurzen Augenblick vor den ausgestellten Fotos. Bei der Nachbereitung waren sich auch alle einig, dass nicht nur zu runden Jahreszahlen, wie dem 70. Jahrestag, eine Aktion zum Gedenken der Opfer ausreicht, sondern dass solche Gedenkveranstaltungen zu einer regelmäßigen, kontinuierlichen Aufgabe gemacht werden müssen. Die Überwindung von Faschismus und Krieg ist die Grundlage für die heutige Vielfalt der Verbände. Gerade in Zeiten von Pegida und neuen rechten Strömungen sollten Jugendverbände aktiv an die stets vor uns liegende Aufgabe erinnern – dem Faschismus, Nationalismus und Rassismus in alten und neuen Gewändern immer und überall entschlossen entgegenzutreten. Dies verdeutlicht auch ein Statement eines älteren Ehepaares, die auf ihren Zettel schrieben: »Wir gedenken heute, weil das für uns immer noch der Tag für die Aufarbeitung unserer Geschichte ist. Pegida wäre heute nicht möglich, wenn es eine richtige Auseinandersetzung gegeben hätte.« - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Grundsatzbeschluss des DBJR zu Erinnerungsarbeit

Auf der letzten Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) im Oktober 2014 wurde der Beschluss »Erinnerungsarbeit in der Jugendbildung fördern und weiterentwickeln« gefasst. Darin heißt es: »Als Jugendverbände in Deutschland sehen wir uns besonders in der Pflicht und der Verantwortung, die Erinnerung an den Nationalsozialismus und die damit verbundenen Verbrechen im Gedächtnis der Menschen zu erhalten.« Der Antragstext zu diesem Beschluss entstand in Kooperation mehrerer Landesjugendringe, bei der auch der LJR Hamburg mitwirkte. Der Beschluss kann runtergeladen werden unter:www.dbjr.de/gremien/87-vollversammlung.html - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Gedenkaktion von Vollversammlung beschlossen

Auf Antrag der DGB-Jugend wurde im November 2014 von der Vollversammlung des Landesjugendrings der Beschluss gefasst, eine gemeinsame Veranstaltung zum Gedenktag am 27. Januar 2015 im Namen aller Hamburger Jugendverbände durchzuführen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Alternative Stadtrundfahrten zur NS-Geschichte

Einen festen Bestandteil der historisch-politischen Bildungsarbeit des Landesjugendrings Hamburg bilden seit Ende der 1970er Jahre die Alternativen Stadtrundfahrten zum Thema »Hamburg im Nationalsozialismus – Verfolgung und Widerstand«. Das Angebot der thematischen oder stadtteilbezogenen Rundfahrten und -gänge ist online buchbar unter: www.alternative-stadtrundfahrten.de - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

»Wie wollt ihr euch erinnern?«

Das vom Landesjugendring Hamburg initiierte Jugendpartizipationsprojekt »Wie wollt ihr euch erinnern?« fand 2012 statt und beschäftigte sich mit der Gestaltung des Gedenkorts Hannoverscher Bahnhof. Es ging um die Frage, wie ein Dokumentationszentrum so überzeugend gestaltet werden kann, dass es auch kommende Generationen anspricht, die keinen persönlichen Kontakt mehr zu Zeitzeugen/innen aus der NS-Zeit haben werden. In punktum 2/12 wurde über das Projekt berichtet: <link>www.ljr-hh.de/2-2012.1190.0.html - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Nachwirkung: Fotocollage in der Rathauspassage

In den nächsten Wochen wird eine Fotocollage der Ergebnisse der Foto-Aktion in der Rathauspassage zu sehen sein. Einfach mal vorbeischauen:http://rathauspassage.de/anfahrt