Schon mal Wahl-O-Mat geklebt?!
Der Wahl-O-Mat zum Aufkleben geht auf Tournee durch Hamburg
Von Gwen Schwethelm, LJR, Bildungsreferentin
In Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und finanziert durch die Bürgerschaftskanzlei, ging der Landesjugendring (LJR) vor der Hamburger Bürgerschaftswahl mit dem Wahl-O-Mat zum Aufkleben (WOMZA) drei Wochen lang auf Tournee. In Schulen, Jugendverbänden und Häusern der Jugend konnten Erst- und Jungwähler/innen 38 politische Thesen bewerten und beim Kleben über die Thesen, Parteien und die Hamburger Politik ins Gespräch kommen.
Zum Aufkleben?! Grüne und rote Aufkleber, Lochkartensystem, Scanner, LKW-Planen mit 38 Thesen … Der Wahl-O-Mat zum Aufkleben ist nicht leicht zu beschreiben. Zumindest nicht in der Art, dass ein klares Bild vor Augen entsteht. Den digitalen Wahl-O-Mat kennen viele. Ein Internettool, das nun schon seit mehreren Jahren zu Bundestags-, Landtags- und Europawahlen von der Bundeszentrale für politische Bildung angeboten wird. Indem man sich zu 38 Thesen durch Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung positioniert, kann man herausfinden, welche prozentuale Übereinstimmung man mit den zur Wahl stehenden Parteien aufweist. Inzwischen gibt es den Wahl-O-Mat auch als App für Handys und Tablets. Der Wahl-O-Mat zum Aufkleben mutet dagegen altmodisch und überholt an. Tatsächlich ist er aber erst nach der digitalen Variante entstanden – als der sogenannte kleine, analoge Bruder.
Die Bundeszentrale für politische Bildung begründet die Entwicklung des analogen, zusätzlichen Tools auf ihrer Seite folgendermaßen: »Der Wahl-O-Mat zum Aufkleben kann auf Veranstaltungen, in Schulen und Universitäten oder auch mitten auf dem Marktplatz genutzt werden. So sollen Menschen erreicht werden, die den Wahl-O-Mat noch nicht kennen und Interesse haben, ohne Internet gemeinsam mit anderen das erfolgreiche Wahl-Tool zu spielen.« Ein großer Vorteil demnach ist, dass man den Wahl-O-Mat mit anderen zusammen spielen kann. Er kann überall ohne PC und Internet genutzt werden und lädt ein, beim Kleben über die Thesen und die persönliche Bewertung ins Gespräch zu kommen.
Schüler/innen des Lise-Meitner-Gymnasiums beim Thesen-Kleben
Politische Bildung mit niedrigschwelligem Ansatz. Der Landesjugendring wollte dieses Tool ausprobieren und zwar auf einer Tour. In drei Wochen sollte er an möglichst vielen verschiedenen Spielorten zum Einsatz kommen und in Schulen, Häusern der Jugend und Jugendverbänden viele Jung- und Erstwähler/innen erreichen. Begleitet von jungen Menschen aus unterschiedlichen Jugendverbänden, die den Teilnehmer/innen den Wahl-O-Mat erklären, bei der Durchführung unterstützen und Diskussionen anleiten und moderieren. Für die Spielorte sollte das Angebot als zusätzlicher Anreiz kostenlos und mit möglichst wenig Aufwand verbunden sein. Das Begleitteam sollte mit dem Equipment kommen, es aufbauen, den WOMZA mit den Teilnehmer/innen durchspielen, abbauen und wieder fahren.
Das Konzept kam sowohl auf der Vollversammlung des LJR im November als auch bei der Bürgerschaftskanzlei an, die angefragt war, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit gab grünes Licht und die Tournee des WOMZA konnte geplant werden.
Die Frage, ob der Wahl-O-Mat zum Aufkleben eine Bereicherung, ein gutes, niedrigschwelliges Instrument sein könnte, junge Menschen mit politischen Fragestellungen zur Hamburger Bürgerschaftswahl in Berührung zu bringen, sollte durch den Praxistest beantwortet werden.
Ein Team, ein Bus, ein Plan. Viel Vorlauf hatte der WOMZA nicht. Mitte Dezember begann die Suche nach einer Crew und den Spielorten für den Wahl-O-Mat. Für das Team meldeten sich sieben junge Ehrenamtliche aus sieben verschiedenen Verbänden: Nicole Stradowski (DLRG-Jugend), Anne Langeloh (Jugendfeuerwehr), Melis Nar (Alevitische Jugend), Bernd Fiedler (Junge Presse), Lea Roemmelt (Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nordlicht), Laura Vanselow (CVJM) und Kim Morschek (SJD – Die Falken) bildeten die Crew für die WOMZA-Tournee. Mit Anne und Nicole, die in der Jugendredaktion bei der Erarbeitung und Auswahl der Thesen mitgewirkt hatten, waren zudem Wahl-O-Mat-Insiderinnen Teil des Teams. Der dreiwöchige Tourneeplan umfasste letztlich 26 Spielorte in allen sieben Hamburger Bezirken und in 13 der 17 Wahlkreise. Zu den Einsatzorten sollten die Crew und das Equipment mit einem angemieteten Sprinter-Bus gelangen. Der WOMZA sollte in der Landeszentrale für politische Bildung, zehn Häusern der Jugend, neun Schulen und in sechs Jugendverbänden durchgespielt werden. Die Tour ging los!
Die WOMZA-Tournee-Crew : Sieben aktive Ehrenamtliche aus sieben Jugendverbänden
Technik, die begeistert. »Wow, das geht aber fix!«, staunt ein Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums, nachdem er seinen Bogen in die Box geworfen hatte, in der sich ein wahrer Hochleistungsscanner und ein Kassendrucker verbergen. In der Tat dauert es nur wenige Sekunden bis der Bon mit den prozentualen Übereinstimmungen mit den ausgewählten Parteien aus dem Drucker kommt. Zuvor muss aber natürlich geklebt werden. Der Bogen hält grüne und rote Aufkleber für jede der 38 Thesen bereit. Mit grün stimmt man der These zu, mit rot dagegen. Neutralität wird durch das Kleben beider Farben deutlich gemacht. Am Ende kann der Scanner anhand der fehlenden Aufkleber auswerten, wie man abgestimmt hat und dann mit dem Abstimmungsergebnis der Parteien vergleichen. »Ziemlich krass!«, urteilt eine Mädchengruppe. Die unscheinbare Box sorgte auf der Tour immer wieder für ehrfurchtsvolle Bewunderung. Nachvollziehbar, denn das Equipment sah zwar irgendwie spannend aus, aber halt auch analog im wahrsten Sinne des Wortes. Was die WOMZA-Crew da an den Spielorten aus dem Sprinter schleppte, war auf den ersten Blick eher mit Zeltstangen und Planen in Verbindung zu bringen als mit einem Wahlinformationstool. Auf den zweiten Blick ist das WOMZA-Equipment zwar immer noch kein raumästhetisches Highlight aber eine sehr ausgeklügelte, wetterfeste, pragmatische Konstruktion mit technischer Raffinesse in Form der Wahlscanner-Urne.
»Quadratisch, praktisch, gut!«, nennt Torsten Niehus, Leiter des Jugendzentrums in Jenfeld den Wahl-O-Mat zum Aufkleben. Damit beschreibt er die LKW-Planen mit den Thesen und deren Rahmenkonstruktion sehr genau. Auf Nachfrage erklärt er aber, dass er damit noch mehr meint. Nämlich das Gesamtpaket WOMZA. Die reibungslose Vorbereitung und Durchführung. Die sympathischen und aufgeschlossenen Teamer/innen, die die Jugendlichen zum Mitmachen einluden und geduldig erklärten, wie der Wahl-O-Mat funktioniert, Verständnisfragen zu den Thesen beantworteten und die vielen Gespräche und Diskussionen anleiteten und moderierten. Er ist überrascht und fasziniert »wie viele der Jugendlichen letztlich mitgemacht haben«. Das Angebot stimmt. Die Teamer/innen sind jung und wirken nicht wie weise Politgreise, die auf Stimmenfang gehen. »Junge Leute erreichen die Schüler ja ganz anders als Sozialpäda-
gogen oder ich. Wenn die das vorstellen und begleiten, ist das authentischer und Politik viel weniger abschreckend!«, fasst Herr Albroscheit die Vorteile der jungen Teamer/innen zusammen, die an seiner Schule, dem
Lise-Meitner-Gymnasium, mit rund 50 Schüler/innen den Wahl-O-Mat gespielt haben. Auch die Schüler/innen waren begeistert. Das gemeinsame und öffentliche Kleben ermöglicht den direkten Austausch über die Thesen und das Abstimmungsverhalten der Mitschüler/innen. Die Abschlussdiskussion dreht sich vor allem um Thesen, die die Anwesenden bereits als NPD-Abgrenzungsthesen ausgemacht haben. So zum Beispiel um die These »Wohngeld soll nur an Deutsche gezahlt werden«. Obwohl die Schüler/innen erkannt haben, dass die Thesen in erster Linie den Zweck erfüllen, die NPD von anderen Parteien unterscheidbar zu machen, finden sie die Thesen unangenehm und tendenziös. Aber dass sie über eben diese Thesen in eine rege Diskussion um Rechtspopulismus und versteckten Rassismus einsteigen, ist dann doch ein sehr positiver Effekt.
Die Wahlscanner-Urne: sekundenschnelle Auswertung
Ein bisschen Zucker. Um kurz vor 18 Uhr strömen plötzlich rund 40 Jugendliche in den Jugendclub am Graf-Johann-Weg in Schnelsen. Sie begrüßen zum Teil lautstark, zum Teil nur mit einem Kopfnicken oder einer kaum wahrnehmbaren Handbewegung die Sozialpädagogin Catarina Gomes Pereira. Die Teamerinnen Laura und Anne sind erstaunt. Sie waren für 18 Uhr bestellt, hatten aber erwartet, dass die Jugendlichen über den Abend verteilt kommen würden. Schließlich ist der Jugendclub ein offenes Angebot, zu dem die Jungs und Mädels kommen und gehen können, wie sie mögen. »So, wo kann ich hier denn nun was entscheiden?«, fragt ein ca. 17-Jähriger mit Basecap herausfordernd. Laura lächelt und beginnt mit Anne den Wahl-O-Mat zu erklären. Zehn Minuten später drängen sich die Jugendlichen mit den Klebebögen in der Hand um die Thesen-Planen. Hier und da hört man Fetzen hitziger Diskussionen. »Busspuren?! Ne ey, nicht noch mehr Baustellen?!« »Mehr Drogenkonsumräume? Verstehe ich nicht?!« Laura und Anne stehen dabei, erklären unverständliche Thesen, stellen Fragen und diskutieren hier und da auch mal mit. Die Gruppe ist hochkonzentriert. Catarina Gomes Pareira freut sich : »Es ist toll, dass der Wahl-O-Mat so gut ankommt! Ich hatte die Befürchtung, dass sie da gar kein Bock drauf haben.« Zwei große Jungs lösen sich aus der Traube. Einer von ihnen hat ein etwa siebenjähriges Mädchen an der Hand : »Wir können gleich weitermachen, oder? Wir kaufen ihr nur kurz was Süßes!« ruft er den Teamerinnen zu. Anne nickt. Nach zehn Minuten stehen sie wieder vor den Thesen. Die Kleine lutscht versonnen an einem Lolly.
Auch bei der Diskussion im Anschluss sind alle dabei. Laura ist verwundert, dass fast alle die zwölfte These – »Alle Kinder sollen ungeachtet ihres kulturellen Hintergrundes gemeinsam unterrichtet werden« – abgelehnt haben. 90 % der Teilnehmer/innen haben dem Augenschein nach einen Migrationshintergrund?! Laura fragt nach. Sie hat die Befürchtung, dass die These falsch verstanden wurde. Wurde sie nicht. Die Gruppe diskutiert, ob sie auch mit »Deutschen« unterrichtet werden wollen. Sie kommen zum Ergebnis, dass es eigentlich okay ist und man Menschen eh nicht zwingend ansehen kann, welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Stimmt, das gilt möglicherweise auch für die augenscheinlich als Jugendliche mit Migrationshintergrund ausgemachten 90 % der Anwesenden … Der Austausch mit den Jugendlichen ist spannend und intensiv. Trotzdem sind Laura und Anne beim Abbau nachdenklich. Die These zwölf ist eine der NPD-Abgrenzungsthesen, und es mutet absurd an, dass die Jugendlichen bei dieser These im ersten Moment wie die NPD entschieden haben …
Tee, Brötchen und kein Feiertag. Im großen Saal der Alevitischen Gemeinde am Nobistor duftet es nach Tee und frischen Brötchen. Unzählige Stuhlreihen weisen in Richtung des aufgebauten Podiums. Seitlich an den Wänden stehen die Thesen-Planen. Alles ist bereit. Die Alevitische Jugend hat an diesem Sonntag zum WOMZA eingeladen. Das passt gut, denn am späteren Nachmittag findet im Saal auch noch eine Podiumsdiskussion mit Politiker/innen von FDP, SPD, CDU, Grünen, Linken und Piraten statt.
Nach und nach trudeln die Leute ein. Machen sich einen Tee, essen ein Brötchen und quatschen in kleineren Gruppen miteinander. Eine schöne Atmosphäre herrscht im Raum. Vertraut und heimelig. Als Melis und Nicole den Wahl-O-Mat erklären, strömen die Anwesenden nach vorn.
Und auch hier funktioniert der WOMZA auf Anhieb. Besonders heiß diskutiert wird, ob das Sitzenbleiben wieder eingeführt werden soll und ob die Polizei weiterhin einen Stadtteil zum Gefahrengebiet erklären darf. Ebenfalls kontrovers ist die Sicht auf die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024. »Im Prinzip finde ich Sport schon cool, aber man weiß ja dann nie wie teuer das Ganze wirklich wird.«, sagt ein junger Mann, während er überlegt, wie er sich entscheiden soll. Die Frau neben ihm ist sich bereits sicher und klebt den roten Aufkleber als Zeichen der Ablehnung fast enthusiastisch auf die Plane! »Wir haben wirklich dringendere Themen, für die die Stadt mal Geld ausgeben soll!« Auf die Frage, was das für Themen seien, antwortet sie : »Na, Bildung! Oder hier zum Beispiel«, sie zeigt mit der Hand auf die sechste These : »Mehr Notunterkünfte für Obdachlose!« Nahezu einig sind sich die Anwesenden darin, dass Hamburg den Kontakt zwischen Flüchtlingen und der Bevölkerung mit Maßnahmen fördern und unterstützen soll, sowie mehr Geld für Projekte gegen Rechtsextremismus zur Verfügung stellen muss.
Für Erstaunen unter den nicht-alevitischen Anwesenden sorgt, dass ein Großteil der Teilnehmer/innen die Einführung eines gesetzlichen, muslimischen Feiertags ablehnt. Darauf angesprochen, erklärte ein älterer Herr : »Hamburg ist eine sehr tolerante Stadt, hier würden das sicher viele mittragen. Aber jetzt mit Pegida und so … Nein, ich glaube, das würde in Deutschland für Ärger sorgen.« Und eine Frau daneben : »Es gibt ja schon die Möglichkeit, Kinder zu muslimischen Feiertagen von der Schule zu befreien. Das ist so okay.« Eine andere Frau lacht und klebt mit einem Augenzwinkern einen grünen Aufkleber als Ausdruck ihrer Zustimmung : »Ach, was!«, sagt sie, »Es kann doch gar nicht genug gesetzliche Feiertage geben!«
Schwere Entscheidung. Im Haus der Jugend Steilshoop ist es so laut und voll, dass es eher an eine Pausenhalle erinnert. Im Grunde ist es das auch. Nur ein paar Türen trennen das Haus der Jugend vom riesigen, direkt angrenzenden Schulkomplex. Die Bürgerschaftspräsidentin Frau Veit besucht in Steilshoop den WOMZA auf seiner Tour. Sie steht in der Mitte des großen, mit Stimmen und Menschen gefüllten Raumes und ist umringt von einigen Schülern/innen. Angeregt unterhält sie sich mit den Jungen und Mädchen, von denen manche den Bonausdruck des Wahl-O-Mat in der Hand halten.
Am großen Tresen, von dem aus die Mitarbeiter/innen kleine Snacks und Getränke verkaufen, lehnt Simone Bock, die Leiterin des Hauses und schaut vergnügt dem bunten Treiben zu. »Es ist schön, dass der Landesjugendring diese Tournee organisiert. Der Wahl-O-Mat ist eine lebendige, aktive Art, sich mit Politik auseinanderzusetzen«, sagt sie. Ihr Kollege Dirk Tiedemann verteilt derweil kopierte Wahlzettel an die Besucher/innen. »Wir zählen hier dann am Sonntag auch richtig aus und geben dann bekannt, wie unsere Besucher/innen gewählt hätten«, erklärt er. Bei dieser hausinternen Bürgerschaftswahl dürfen alle mitmachen, gleich welchen Alters sie sind. Auch er findet den WOMZA klasse und wünscht sich mehr und regelmäßigere Aktionen zur politischen Bildung. Dirk Tiedemann zeigt auf den Wahl-O-Mat : »So eine Methode würde nicht nur zu den Wahlen funktionieren und ist viel interaktiver als eine Podiumsdiskussion, bei der die meisten nur zuschauen und zuhören.« Und Simone Bock ergänzt : »Unsere Jugendlichen möchten ernst genommen werden. Das Gefühl haben, dass ihre Meinung wichtig ist, dass sie auch zählen.« Ihr fehlen bei den Thesen die jugendpolitischen Themen, und sie wünscht sich, dass auch Jugendeinrichtungen die Möglichkeit erhalten, die Thesen mitzuerarbeiten.
Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit besucht den WOMZA im Haus der Jugend Steilshoop
Der WOMZA ist auf einer Bühne aufgebaut und eine Traube von Schülern/innen der Klassen 8 bis 10 lauscht gerade den Erklärungen der beiden Teamerinnen Anne und Laura. Die Thesenplanen sind bereits übersät von grünen und roten Aufklebern, hier haben schon viele andere Klassen geklebt. Zwei Jungs aus einer 5. Klasse kommen herbei gerannt und bitten darum, auch kleben zu dürfen. Fallen die schon unter Jungwähler? Stolz halten sie ihre Klebebögen in der Hand und wenden sich flink den Thesen zu. Sie verstehen tatsächlich die wenigsten, aber Laura bleibt an ihrer Seite, erklärt ihnen die Thesen. Die beiden Jungs staunen : »Uih, das ist aber ganz schwer zu entscheiden, ob die Elbe vertieft werden soll.« Sie kleben einen roten und einen grünen Aufkleber – neutral. Tapfer gehen sie von Plane zu Plane, fragen und erwarten gespannt Lauras Erläuterungen. Sie kleben noch einige Male neutral. Dann haben sie es endlich geschafft. Mit großen, leuchtenden Augen werfen sie ihren Bogen in die Scanner-Urne und halten Sekunden später ihren Ausdruck in der Hand. »Ich bin 63 % SPD!« ruft der eine freudig. Sein Kumpel wundert sich über eine 59 % Übereinstimmung mit der Rentnerpartei : »Hä, ich bin doch gar nicht alt?!« Diesmal ist es Anne, die ihnen erklärt, wie die Ergebnisse berechnet werden und es zu den Übereinstimmungen kommt. Das macht sie nicht zum ersten Mal, aber das erste Mal anhand der Rentnerpartei. Danach grabschen sich die beiden noch zwei Armbänder vom Tisch mit dem mitgebrachten Werbematerial zur Bürgerschaftswahl. Auf denen steht : »Du bist entscheidend!«
Du bist entscheidend! Der WOMZA hat in vielerlei Hinsicht funktioniert! Manchmal sogar ganz anders als erwartet. Die von der Bundeszentrale für politische Bildung genannten Effekte sind an allen Spielorten in Erfüllung gegangen. Mit spielerischer Neugierde klebten die jungen Menschen und kamen sofort ins Gespräch über die Thesen. Der WOMZA ist direkt und unmittelbar – mit allen Sinnen erlebbar! Politik ist nicht fern und langweilig, wenn Menschen ins Gespräch darüber kommen, warum und wo Politik für sie eine Rolle spielt. Wenn sie sagen dürfen, was sie wollen, woran es ihrer Meinung nach fehlt und im direkten Austausch mit anderen einen Blick über den Tellerrand wagen. Überall wünschten sich die Lehrer/innen, Sozialpädagogen/innen und Teilnehmer/innen mehr von solchen Angeboten. Der Austausch, die Methode und die Begleitung und Moderation durch junge Teamer/innen wurden dabei immer besonders gelobt. Der WOMZA war in ganz unterschiedlichen Stadtteilen, bei ganz verschiedenen Menschen. Das Team durfte erleben, dass alle jungen Menschen sich für Politik interessieren, wenn sie ihnen auf eine Weise nahe gebracht wird, die sie einlädt, mitnimmt und ernst nimmt. Mit Schnelsen, Jenfeld, Steilshoop und Horn war der WOMZA gerade auch in den Stadtgebieten, die in der Presse und von Politikern/innen häufig als soziale Brennpunkte bezeichnet werden. Aber gerade dort waren die jungen Menschen engagiert, interessiert und mit Spaß bei der Sache. Überall standen die Thesen zu sozialen Themen im Mittelpunkt. Meistens waren sich die Teilnehmer/innen einig, dass die Stadt Hamburg mehr für jene tun muss, die wenig oder nichts haben. Die Teamer/innen hatten Gelegenheit, Hamburgs Stadtteile und viele verschiedene Menschen und Einrichtungen kennen zu lernen. Sie haben ihre Verbände und den LJR in Institutionen vertreten und bekannt gemacht. Es hat ihnen Freude bereitet, verbandsübergreifend aktiv zu werden, und sie wünschen sich, wie so viele der besuchten Spielorte, weitere Projekte dieser Art.
Und einen weiteren, ganz wichtigen Vorteil bietet der Wahl-O-Mat zum Aufkleben. Schwer verständliche Thesen oder eben auch die benannten NPD-Abgrenzungsthesen können gemeinsam besprochen und erläutert werden. Am Computer bleiben die Nutzer/innen allein mit ihrem Verständnis und ihrem Ergebnis. Der WOMZA und sein Team haben den Slogan zur Bürgerschaftswahl – »Du bist entscheidend!« – in die Stadt getragen, mit Leben gefüllt und um eine wesentliche Erfahrung erweitert: Auch das WIR ist entscheidend!
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Wie ein Wahl-O-Mat entsteht
Das Herzstück eines jeden Wahl-O-Mat sind 38 Thesen zu politischen Streitfragen. Die Thesen werden in einem Redaktionsprozess entwickelt, der aus mehreren Workshops besteht. Das Redaktionsteam wird aus 20 bis 25 wahlberechtigten Jung- und Erstwähler/innen zwischen 16 bzw. 18 und 26 Jahren gebildet. Bei Bundestagswahlen können die Teilnehmer/innen aus dem gesamten Bundesgebiet kommen, bei Landtagswahlen entsprechend aus dem jeweiligen Land. Außerdem kommen in beratender Funktion Politikwissenschaftler/innen, Statistiker/innen und Pädagogen/innen, Experten/innen für bestimmte Themen und Vertreter/innen der bpb und bei Landtagswahlen der jeweiligen Landeszentrale für politische Bildung hinzu.
In einem ersten mehrtägigen Workshop erarbeitet die Redaktion der Jung- und Erstwähler/innen zwischen 80 und 100 Thesen auf Grundlage der programmatischen Aussagen, Partei- und Wahlprogramme aller zur Wahl stehenden Parteien. Dabei sucht die Redaktion vor allem wichtige und gleichzeitig zwischen den Parteien umstrittene Punkte heraus und formuliert Thesen.
Die erarbeiteten Thesen werden den Parteien zur Beantwortung zur Verfügung gestellt. Innerhalb von zwei bis drei Wochen können die Parteien antworten und ihre Entscheidung begründen bzw. erläutern.
Im zweiten Workshop der Redaktion werden dann 38 aus den bis zu 100 Thesen ausgewählt. Dabei sollten die Thesen nach Möglichkeit wichtige Themen der Wahl aufgreifen, ein thematisch breites Spektrum abdecken, von den Parteien kontrovers beantwortet worden sein und die Unterscheidbarkeit der Parteien gewährleisten.
Sobald die 38 Thesen feststehen, wird der Wahl-O-Mat programmiert, getestet und zwei bis vier Wochen vor der Wahl online
gestellt.
Weitere Informationen zum Wahl-O-Mat und seiner Entstehungsgeschichte unter:
www.bpb.de/politik/wahlen/wahl-o-mat