Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2014, Rubrik Titelthema

Stichwort: Hartz-IV-Zuwanderer

»Die kommen doch nur, um unsere Sozialkassen auszuplündern. Deutschland ist die soziale Hängematte Europas. Die Zuwanderung muss gestoppt werden.«

Die Argumentation: 6,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass leben in Deutschland. Rechtspopulisten – mitunter auch solche in den Volksparteien – wettern gegen eine zunehmende Zuwanderung in die Sozialsysteme Deutschlands. Schuld habe die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Verschärft sei die Situation seit Anfang 2014, als es auch Bürgern der jüngeren EU-Länder wie Bulgarien und Rumänien möglich wurde, in Deutschland nach Arbeit zu suchen. Doch statt zu arbeiten, würden die Zuwanderer in die deutschen Sozialsysteme einwandern.

Richtig ist vielmehr: Die Zuwanderer ohne deutschen Pass entlasten die Sozialsysteme und erwirtschaften dem Staat ein Plus in Milliardenhöhe. Tendenz steigend. Dies zeigt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung (Quelle s.u.): »Die rund 6,6 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft zahlten [im Jahr 2012] insgesamt über 22 Mrd. Euro mehr an den Staat, als sie in Form von individuellen Transfers – hierzu zählen die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherungen, der sozialen Existenzsicherung und die öffentlich finanzierte Bildung – zurückerhielten. Dies entspricht einem laufenden Überschuss von 3.300 Euro je Ausländer.« (S. 51) Das Plus pro Kopf sei zudem in den vergangenen zehn Jahren um mehr als die Hälfte gestiegen. Im Durchschnitt überweise jeder in Deutschland lebende Mensch ohne deutschen Pass in seinem Leben 22.300 Euro mehr an den Staat, als er im Gegenzug an Sozialtransfers erhalte. Folglich habe der Sozialstaat von dieser Bevölkerungsgruppe insgesamt in einer Höhe von 147,9 Milliarden Euro an Einnahmen profitiert.
Diese von der Bertelsmann Stiftung veranschlagte »Nutzenrechnung« der Zuwanderung ist zudem noch eingeschränkt, da von ihr nur Menschen ohne deutschen Pass erfasst wurden. Nähme man Migranten mit deutscher Staatsangehörigkeit hinzu »würde der fiskalische Nutzen mit großer Wahrscheinlichkeit noch höher ausfallen, da dieser Personenkreis im Durchschnitt ökonomisch erfolgreicher ist als die Gruppe der Ausländer«. (S. 7)

Hintergrund: »Wie ein Vergleich etwa mit Frankreich oder den Niederlanden zeigt, ist der aktuell hohe Beschäftigungsstand in Deutschland einer der Gründe, warum die Steuer-Transfer-Bilanz der hierzulande lebenden Ausländer trotz ihrer oft geringen Qualifikation und der daraus resultierenden Nachteile am Arbeitsmarkt günstig ausfällt. Ein weiterer Vorteil Deutschlands ist die relativ lange Aufenthaltsdauer der durch den Gastarbeiterzuzug geprägten ausländischen Wohnbevölkerung, sodass die Integration hier weiter fortgeschritten ist.« (S. 52)

Forderungen: Die Bertelsmann Stiftung setzt sich – angesichts der Ergebnisse der Studie – dafür ein, die Migrationspolitik stärker auf die Qualifikationen der Migranten und die daraus resultierenden Chancen zu orientieren. Dies heiße aber nicht, wie so oft gefordert, nur ein Werben um so genannt gut ausgebildete Zuwanderer, sondern auch weniger Einschränkungen für Asylbewerber: »Dieser neue, primär an Potenzialen und Chancen ausgerichtete Blick auf Migranten schließt auch jenen Personenkreis mit ein, den wir bisher nur aus humanitären Motiven in Deutschland aufgenommen haben: die Flüchtlinge. In diesen Menschen schlummern ebenfalls bislang ungenutzte Potenziale, von denen wir langfristig profitieren können. So sinnvoll es ist, die Asylpolitik humanitär auszurichten, so unsinnig ist es, den hier lebenden Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt und damit zu einem selbstbestimmten, produktiven Dasein so zu erschweren, wie Deutschland es lange Zeit getan hat.« (S. 5)

Konklusion: Die rechtspopulistische These von der »sozialen Hängematte« ist Nonsens. Deutschland »profitiert« in der Gesamtschau von der Zuwanderung. Und könnte, wenn unsinnige Beschränkungen wegfielen, dies noch viel mehr tun.

Weiterdenken + Weiterfragen: Die Studie der Bertelsmann Stiftung macht eine Kosten-Nutzen-Rechnung zur Zuwanderung auf. Der Befund ist wirtschaftlich positiv. Die Ökonomie und auch die Sozialkassen profitieren von der Zuwanderung. Jedoch: Was wäre, wenn der ökonomische Befund negativ wäre? Wäre dann das humane Argument pro Asyl und pro Zuwanderung nichtig? Oder gelten humane Erwägungen nur, solange sie sich ökonomisch rechnen? (jg)

Quelle: Bertelsmann Stiftung (Hg.): Der Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt, Gütersloh 2014