Nach neun Jahren Regierungsabstinenz ist das Rathaus wieder »rot«. Die SPD hat es geschafft, nach einem desolaten Bundestagsergebnis zu neuer Stärke zu finden und damit gleich das Hamburger Rathaus im Alleingang – wenn auch mit hauchdünner Mehrheit – zu »erobern«. Dennoch: Diese absolute Mehrheit verpflichtet. Sie verpflichtet zu Augenmaß, sie bedeutet große Verantwortung, und sie wird die SPD messen an ihrem vom neuen Bürgermeister Olaf Scholz ausgerufenen Credo zum »guten Regieren«.
Wie haben junge Menschen gewählt? Wenn sie denn zur Wahl gegangen sind … Zunächst ist zu konstatieren: Die stärkste »Bewegung« bilden weiterhin junge Nichtwähler. 56 % der 18- bis 24jährigen (zum Vergleich 2008: 61,8 %) und 51,2 % der 25- bis 34jährigen (2008: 46 %) sind der Bürgerschaftswahl ferngeblieben. Damit sind diese Gruppen deutlich wahlfauler als ältere Generationen (2011: nur 32,8 % der über 60jährigen und 38,4 % der 45- bis 59jährigen sind Nichtwähler). Dieser Befund ist trotz des Aufwärtstrends bei den Jungwählern ernüchternd. »Jugend wieder politischer« hatte die jüngste Shell Jugendstudie bei der Gruppe der bis 24jährigen noch diagnostiziert (vgl. punktum 4/10). Doch auch hier, bei den 18- bis 24jährigen, gilt es zu differenzieren: Während 11,1 % mehr junge Männer als bei der letzten Bürgerschaftswahl sich aktuell beteiligt haben (insgesamt 49,7 % Wahlbeteiligung 2011), gab es bei jungen Frauen nur ein Plus von 1,2 % (insgesamt 39,2 %). Damit haben junge Frauen weiterhin die rote Laterne bei der Wahlbeteiligung inne. Bei der Frage, was junge Menschen gewählt haben, gab es keine großen Überraschungen – sowohl im Vergleich zur letzten Bürgerschaftswahl als auch in Relation zum Gesamttrend. Die 18- bis 24jährigen haben die CDU abgestraft (16,6 % insgesamt | minus 12,6 % im Vergleich zu 2008), die SPD gestärkt (47,5 % | plus 4,8 %), die Grünen/GAL (14 % | plus 1,1 %) und Die Linke (8,0 % | plus 1,5 %) fast gleichstark wiedergewählt, aber entgegen dem Gesamttrend die FDP weiterhin übersehen (3,4 % | minus 0,4 %). Leider gibt die Wahlanalyse des Statistischen Amtes keinen Aufschluss über Wahlbewegungen junger Menschen hin zu kleinen Parteien, die nicht in Bürgerschaft eingezogen sind.
Gutes Regieren? Wie dieses SPD-Credo konkret aussehen soll, ist bisher in nur wenigen Vorhaben skizziert geworden. Für den Landesjugendring und all seinen Mitgliedern stehen natürlich die Pläne der neuen Sozialbehörde und ihrem Präses Detlef Scheele im Mittelpunkt des Interesses. Vor der Wahl haben wir uns auf einige konkrete Forderungen geeinigt: Abschaffung der Studiengebühren für alle Juleica-Inhaber/innen, Leistungen aus dem Bildungspaket für Kinder und Jugendliche an das SGB VIII anbinden, Stärkung der Jugendverbandsstrukturen, Partizipation von Kindern und Jugendlichen gemäß § 33 BezVG ermöglichen und das Wahlalter auf 14 Jahre absenken. Daran werden wir die neue Regierung messen und unsere eigene Vorstellung vom »guten Regieren« entwickeln.
Zumindest ein Plan deckt sich bereits mit unseren Forderungen. So sollen laut Regierungserklärung des Bürgermeisters die Studiengebühren für alle Studierenden in Hamburg abgeschafft werden. Ein erster Schritt in Richtung Chancengleichheit in der Bildung. Das Bildungspaket für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien und die sog. Hartz-IV-Reform jedoch lassen immer noch viel zu wünschen übrig. Unsere Forderung, auch politische Bildungsarbeit in die Bildungsgutscheine einzubinden, bleibt weiter unser Verhandlungsschwerpunkt.
Zukunftsfragen. Es wird sich darüber hinaus zeigen, wie die Politik zur Förderung von Jugendverbandsstrukturen aussieht. Welche Rolle werden Jugendverbände in Hamburg in Zukunft spielen? Werden ihre Wirkungsstätten weiterhin in Frage stehen? Zunächst können wir auf einen guten Ausgang der Haushaltskonsolidierung für uns zurückblicken. Wir wissen aber auch, dass Olaf Scholz angekündigt hat, alle Aktivitäten von der Haushaltslage abhängig zu machen. Deshalb richten wir uns mit diesem Kommentar bereits mit »klarer Kante« an Senator Scheele: Finger weg von Kürzungen im Landesförderplan der Jugendverbände! Die Bedeutung der Jugendverbände in Hamburg wird sich auch auf Bezirksebene zeigen. Als Interessenvertretung für alle Kinder und Jugendlichen liegt uns ihre Partizipation in all ihre Lebenswelt betreffenden Bereichen am Herzen. Dies haben wir durch eine LJR-Position auf der Vollversammlung im November 2010 unterstrichen. Die Umsetzung für geeignete Verfahren und die Verankerung auf bezirklicher Ebene werden wir weiter in den Jugendhilfeausschüssen vorantreiben und merken, wie ernst es den zum größten Teil der SPD angehörigen Bezirksversammlungsabgeordneten wirklich ist – oder ob ihr Verständnis zur Förderung von Kindern und Jugendlichen bei bezahlbaren KiTa-Plätzen endet.
Die neue Zusammensetzung der Sozialbehörde, die nun auch das Feld »Arbeit« umfassen wird, die Restrukturierung und die neuen Staatsräte werden unter Umständen eine Prioritätenverschiebung des Senators mit sich bringen. Wir werden ihn von Anfang an und kontinuierlich daran erinnern, dass die Jugendverbände in Hamburg niemals von seiner Prioritätenliste verschwinden werden.
Lieber Senator Scheele, wir – der Vorstand des Landesjugendrings Hamburg und die Mitglieder der Vollversammlung – freuen uns auf Ihren Antrittsbesuch. Wir wollen wissen, welche Vorstellung Sie zur Jugendverbandslandschaft in Hamburg haben und auf welche Weise Sie mit unseren spezifischen Herausforderungen in Zukunft umgehen werden.
Julia Sammoray, LJR-Vorsitzende